Rezensionen - Einstellungsjahr 2021

Verfasser: Uwe Bekemann (sofern nicht jeweils ein anderer Verfasser genannt ist)

How to Study Chess on Your Own

Davorin Kuljasevic
How to Study Chess on Your Own
380 Seiten
ISBN: 978-90-5691-931-3
24,95 Euro

Wer sich „How to Study Chess on Your Own“ des Großmeisters Davorin Kuljasevic beschafft, sollte es ernst meinen mit seiner Absicht, Schach intensiv zu studieren. Das Werk ist auf denjenigen zugeschnitten, der viel Ehrgeiz mitbringt und zugleich auch Zeit zu investieren bereit und in der Lage ist.

Ich möchte meinen Gedanken mit einem Bild verdeutlichen: Wer eine nur kleine Wiese hat und ein Schaf bestellt, um es darauf grasen zu lassen, wird nicht allzu glücklich sein, wenn ihm eine ganze Herde geliefert wird. Für „How to Study Chess on Your Own“ braucht der Schäfer eine richtig große Wiese! Und auf dieser wird eine richtig große Herde mit prächtigen Tieren grasen!

 

Ganz bewusst stelle ich diese Informationen in meiner Rezension voran. Bei deren Vorbereitung bin ich auf einige Kritik an dem Werk gestoßen, die sich im Kern gerade um die von ihm gestellten hohen Anforderungen kristallisiert. Tatsächlich kommt ein zeitlicher Aufwand je Woche zusammen, der einem Full-Time-Job entspricht, wenn man denn tatsächlich mit dem Buch innerhalb weniger Monate auf höchste Weihen trainieren will. Und wer kann das schon und ist auch dazu bereit? Aber niemand wird davon abgehalten, seine Dosis nach den eigenen Wünschen und Möglichkeiten zu bemessen und entsprechend entschleunigt mit „How to Study Chess on Your Own“ zu arbeiten.

Beim Zurechtschneidern des Stoffes auf die eigenen Verhältnisse leistet der Autor sogar eine Hilfestellung. Im Kapitel 9 stellt er ganz konkrete Studienpläne zur Verfügung. Ein Beispiel davon: Der Plan „9.3“ stellt die Studieninhalte zusammen, mit denen der Leser seine saubere Variantenberechnung, sein Spiel in zweischneidigen Stellungen und sein strategisches Verständnis in Mittelspielstellungen verbessern können soll. Er ist rechnerisch auf 4 Monate angelegt und basiert auf einer täglichen Studienzeit von durchschnittlich 4 Stunden. Niemand ist daran gehindert, beispielsweise 16 Monate auf der Basis dieses Plans zu arbeiten, dann eben nur durchschnittlich mit rund einer Stunde am Tag.

 

Kuljasevic hat ein Studienprogramm erstellt und dieses mit Inhalten aufgefüllt, das höchsten Ansprüchen nachkommt. Dies unterscheidet seine Arbeit von anderen mir bekannten Werken, die zahlreiche Übungen und Methoden anbieten, diese aber nicht in einen sinnvollen Trainings-Zusammenhang bringen. Der Leser soll optimiert effektiv studieren und trainieren können, ohne Zeit und Energie zu verschwenden, und natürlich sicher das Erlernte in seiner Praxis anwenden können.

 

Das Buch ist in 10 Kapitel unterteilt. Diese stelle ich nachfolgend mit ihren wesentlichen Inhalten vor. Die Überschriften sind sinngemäß ins Deutsche übersetzt.

Kapitel 1: Lernen Sie mit der richtigen Einstellung?
Der Autor geht darauf ein, in welchem Maße und in welcher Qualität das Studium erfolgen sollte. Dabei geht es, wie die Überschrift erwarten lässt, um die persönliche Grundeinstellung, aber nicht nur. Zunächst ertappt er sicherlich so manchen Leser mit Fragen an sich selbst, die als typische Ausreden herhalten können. Er zwingt den Leser dazu, sich damit auseinanderzusetzen, ob er überhaupt bereit ist, hart an sich zu arbeiten.

Schon in diesem Kapitel behandelt Kuljasevic auch Fehler und Unzulänglichkeiten, die der Leser machen kann, auch wenn er mit der erforderlichen Disziplin arbeitet. Dabei geht es um Dinge wie Analyse mit Unterstützung durch Engines, Analyse eigener Partien oder auch ein eigenes Überspielen.

 

Der Leser erhält nicht nur Text zur Behandlung eines Themas, sondern ergänzend Beispielmaterial aus Partien und Partiefragmenten. Dies gilt übrigens auch für die weiteren Kapitel.

 

Das Kapitel wird mit einer Zusammenfassung abgeschlossen, die in großer Anzahl sehr konkrete Feststellungen, Hinweise und Ratschläge enthält. Auch dies gilt für weitere Kapitel.

 

Kapitel 2: Fünfzehn Lernmethoden
Kuljasevic hat 15 Möglichkeiten zusammengestellt, Schach zu studieren. Zu diesen zählen beispielsweise die Arbeit mit Büchern, das Anschauen von Videos, DVDs etc., das Lösen von Übungsaufgaben, verschiedene Analysemethoden usw. Diese hat er früh im Kapitel tabellarisch zusammengestellt. Ergänzt hat er sie jeweils um seine Einschätzung zur praktischen Relevanz der Methode, zur erforderlichen Intensität des Studiums und zum Potenzial auf einen langzeitigen Lernerfolg. Im weiteren Verlauf arbeitet der Autor die Methoden intensiv ab.

 

Kapitel 3: Erkennen/Bestimmen Sie Ihre Studienprioritäten
Hier individualisiert der Autor seine Informationen auf Spielergruppen, die er nach Spielstärke – orientiert an Elo – bildet. Für diese behandelt er jeweils das Studium zur Eröffnung, zur Taktik, zu Endspielen, zum Mittelspiel und zur Verbesserung der Fähigkeiten allgemein.

 

Kapitel 4: Wählen Sie die richtigen Ressourcen für Ihren Studienplan
In diesem Kapitel geht es um die Nutzung ganz konkreter Quellen, die dem Lernwilligen zur Verfügung stehen. Von Internetangeboten bis zu ganz konkreten Buchempfehlungen mit den damit jeweils erreichbaren Lernerfolgen erhält der Leser eine Fülle an Informationen über Material, das er sich für sein Studium verschaffen kann. Dabei lässt Kuljasevic auch seine Einschätzungen zur Relevanz nach Leistungsstufen einfließen.

 

Kapitel 5: Studieren Sie Ihre Eröffnungen gründlich
Kuljasevic zeigt auf, wie der Leser zu einem in sich stimmigen Grundwissen zur Eröffnung kommt, ein allgemeines Repertoire mit Schwerpunktspielweisen zusammenstellen kann und wie er effektiv auf den Lernerfolg hinarbeiten kann.

 

Kapitel 6: Dynamisieren" Sie Ihr taktisches Training / Testaufgaben zur Taktik
Der Autor stellt Methoden vor, mit denen bekannt notwendige Fertigkeiten wie die Variantenberechnung, das Bestimmen von Kandidatenzügen und gegnerischer Ressourcen etc. effektiv trainiert werden können.

 

Kapitel 7: Machen Sie Ihr Endspielstudium angenehmer (Anmerkung: auch im Sinne von „mehr Freude bereitend)
Der Inhalt dieses Kapitels wird bereits recht gut von seiner Überschrift skizziert. Sachlich/fachlich geht es auch in ihm vor allem um Methoden.

 

Kapitel 8: Systematisieren Sie Ihr Mittelspielwissen / Positioneller Mini-Test zum Figurenabtausch
Das Mittelspiel als die komplexeste Phase der Partie stellt den Spieler vor eine besondere Aufgabe, Ordnung in sein Studium zu bringen. In seinen Darstellungen setzt Kuljasevic voraus, dass dem Leser die Elemente des Mittelspiels bekannt sind. Er leitet dazu an, diese ohne Vernachlässigung einzelner Elemente einerseits methodisch qualifiziert zu trainieren und andererseits auch Material strukturiert zusammenzustellen und zu verwahren.

 

Kapitel 9: Organisieren Sie sich - erstellen Sie einen Studienplan
Zusammen mit den einleitenden Passagen dieser Rezension gibt die Überschrift sehr gut an, was den Leser hier im Werk erwartet.

 

Kapitel 10: Lösungen zu den Übungen.
Dieses Kapitel enthält gesammelt die Lösungen auf Aufgaben, die in den vorangehenden Kapiteln gestellt worden sind.

 

Fast allen Kapiteln geht eine als „Preview“ bezeichnete Zusammenstellung von Aufgaben voran. Deren Anzahl variiert von Kapitel zu Kapitel. Ein Diagramm zeigt die Ausgangsstellung an, ergänzt um die Angabe der am Zug befindlichen Partei. Die an den Leser gerichtete Übungsaufgabe ist jeweils spezifisch formuliert.

In der Struktur des Buches empfinde ich die Aufgaben an der Stelle vor einem Kapitel ein wenig als Fremdkörper. Es lässt sich der innere Zusammenhang der Aufgaben mit dem Inhalt des nachfolgenden Kapitels für mich nur schwer herstellen. Am Kapitelende, vielleicht vor der Zusammenfassung positioniert, würden sie mir als sinnvoller erscheinen.

Der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben ist nach meinem Empfinden zumeist hoch.

 

„How to Study Chess on Your Own“ ist ganz überwiegend als Arbeit zur Methodenlehre zu verstehen. Es zeigt beispielsweise auf, wie man möglichst professionell sein Eröffnungswissen steigert, ohne natürlich das Eröffnungswissen selbst auch anzubieten. Entsprechend erfolgt hierzu der Hinweis auf Spezialliteratur, die der Autor dann auch genau bezeichnet. Es sollte aber auf der Hand liegen, dass eine Lösung, die Methodenlehre und 100% des zur Umsetzung erforderlichen Wissens anbietet, nicht einmal theoretisch vorstellbar ist.

 

In einer Käuferreaktion habe ich als Aussagen gelesen:

  • Es hat mir geholfen, mein eigenes Trainingsprogramm zu organisieren und einzurichten.
  • Reich an Vorschlägen für Lesestoff.
  • Konkretes Konzept und Ansatz für Ihr Schachstudium.
  • Ich hätte gerne ein zusätzliches Kapitel für diejenigen gehabt, die nicht 34 bis 37 Stunden pro Woche haben, um Schach zu studieren.

 

Dieses Statement kann ich zum Potenzial des Werkes wie auch zu einer für vermutlich viele Leser hilfreichen Ergänzung unterschreiben

 

Der Leser muss viel englischen Text verarbeiten. Er sollte deshalb über geübte Fremdsprachenkenntnisse verfügen, um bequem mit dem Werk arbeiten zu können.

 

Fazit: „How to Study Chess on Your Own“ ist der Schlüssel für den ehrgeizigen Spieler, um das Schachspiel mit guter Struktur unter Nutzung gut geeigneter Ressourcen zu studieren. „Otto Normalverbraucher“ wird den Stoff auf seine Verhältnisse herunterbrechen müssen, um die Studienzeit auf seine Verhältnisse zuzuschneiden.

Das Werk enthält Stoff, der ein jahrelanges Studium möglich macht.

 

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Die Endspielkunst der Weltmeister, Bd. 1 und Bd. 2

Karsten Müller
Die Endspielkunst der Weltmeister, Bd. 1 und Bd. 2
226 Seiten (Bd. 1), 221 Seiten (Bd. 2), Hardcover, gebunden, mit Lesebändchen
ISBN: 978-3-95920-141-4 bzw. 978-3-95920-142-1
29,80 Euro (je Band)

 

„Die Endspielkunst der Weltmeister“ hat der deutsche Großmeister und anerkannte Endspielexperte Karsten Müller in seiner aus zwei Bänden bestehenden gleichnamigen Reihe unter die Lupe genommen. Die Bücher sind 2021 als Neuausgaben im Joachim Beyer Verlag erschienen und greifen teilweise auf Material zurück, das zuvor schon in elektronischer Form bei Chessbase erschienen ist. Hierdurch wurde es möglich, im Buch verwendete Beispiele zusätzlich mit einem QR-Code zu versehen, der dem Leser auf Wunsch zu einem Sprung ins Internet, eben zu Chessbase, verhilft. So kann der Leser den QR-Code mit seinem Smartphone oder Tablet einscannen und gleich darauf – mit dem Tablet natürlich wegen der größeren Darstellung deutlich bequemer – am virtuellen Brett die Beispiele nachspielen.

 

Beide Bände präsentieren sich als gelungene Symbiose aus Inhalten, die Schachbücher zu Sachbüchern machen, sowie Unterhaltung. Dabei stehen zwei Dinge im Vordergrund; diese sind die Vermittlung von Endspielwissen mit Schulung und Training der eigenen Fertigkeiten des Lesers und eine ehrende Darstellung der Weltmeister im Schach vor dem Hintergrund deren jeweils ganz spezifischer Fähigkeiten, die sie im Endspiel auf dem Brett demonstriert haben.

So erinnert „Die Endspielkunst der Weltmeister“ an ein Sammelwerk über kulinarische Köstlichkeiten, für die jedes Rezept mit einer besonderen Note eines dafür berühmten Meisterkochs versehen beschrieben wird.

 

Beide Bände haben wenig mit einem Lehrbuch zur Endspielführung gemein. So wird kein (Grundlagen-)Wissen zu Spieltechniken vermittelt, sondern vorausgesetzt. Entsprechend richten sie sich zuvorderst an den stärkeren Spieler, der also, um das eben genutzte Bild aus der Küche aufzuwärmen, den Kochlöffel bereits recht gut zu schwingen weiß.

 

Müller hat, mit Steinitz beginnend, jedem Weltmeister in einer chronologischen Reihenfolge über beide Bände hinweg ein Kapitel gewidmet. Zunächst wird dieser auf einer Doppelseite kurz vorgestellt, links mit einem Foto und rechts mit zentralen Informationen zu seiner Person und zu seinen Weltmeisterschaftskämpfen. Diese werden ergänzt um Müllers Einschätzungen zum Spielertyp, dem er den Porträtierten zuweist. Dabei nimmt er Bezug auf die Klassifizierungen, die er ausführlich und gemeinsam mit GM Luis Engel in „Spielertypen“, Joachim Beyer Verlag 2020, vorgenommen hat (Aktivspieler, Theoretiker, Reflektoren und Pragmatiker). Bei der Vorstellung und Analyse ausgewählter Beispiele aus dem Schaffen des Weltmeisters greift er diese Einstufungen häufig wieder auf.

Der Leser, der das genannte Spezialwerk nicht besitzt, ist nicht etwa aufgeschmissen, indem er über kein Vorwissen zu Spielertypen verfügt. Im Rahmen der Vorbemerkungen stellt Müller die wichtigsten Informationen dazu bereit.

 

Der 1. Band, der ausweislich des zum Vorwort genannten Datums April 2021 offenbar zeitlich nach dem Schwesternband (Datumsangabe: Februar 2021) fertig geworden ist, befasst sich mit den folgenden Weltmeistern und jeweiligen Gegenständen, für deren Behandlung im Endspiel sie besonders bekannt sind:

Steinitz (Läuferpaar), Lasker (Verteidigungskunst), Capablanca (Einsatz des Königs), Aljechin (Angriffskunst speziell im Endspiel), Euwe (Freibauern), Botwinnik (Logik und weitsichtige Strategie), Smyslow (Turmendspiele) und Tal (Magie, womit in etwa die Fähigkeit gemeint ist, überraschende und wie aus der Luft gezaubert anmutende Lösungen zu finden).

 

Die gleichartige Zusammenstellung zum 2. Band sieht wie folgt aus:

Petrosjan (Gespür bei der Entscheidung zum „richtigen“ Abtausch; Endspiel Turm + Springer gegen Turm + Läufer mit Vorteil Springer), Spasski (Initiative), Fischer (Präzision im Endspiel Turm + Läufer gegen Turm + Springer mit Vorteil Läufer), Karpov (Dominanz- und Restriktionsmethoden), Kasparow (Königsangriffe bei reduziertem Material), Kramnik (strategisches Powerplay speziell auf einem geschwächten Farbkomplex), Anand (fortdauerndes aktives Druckspiel) und Carlsen (Technik im Endspiel Türme und gleichfarbige Läufer).

 

Karsten Müller nimmt die behandelten Endspiele zumeist ohne eine Betrachtung der vorderen Partiephasen auf, indem er die Startstellung mittels eines Diagramms definiert. Dazu erfährt der Leser die Namen der Spieler mit Farbverteilung und die Veranstaltung, in der das Duell ausgetragen worden ist. Die weiteren Zugnummern entsprechen zumeist jenen in der vollständigen Partie selbst.

Natürlich hat Müller kein bisher unbekanntes Material ausgegraben. Manche Beispiele haben schon Eingang in andere Werke gefunden, aber nicht mit der aktuellen Kommentierung aus der Feder des Autors und eben nicht mit der besonders auf eine bestimmte Fähigkeit des beteiligten Weltmeisters gerichteten Lupe.

Die Analysen sind oft anspruchsvoll, die angebotenen Erläuterungen unterstützen aber beim Verständnis. Keinen Brückenschlag stellen diese allerdings zu den oben schon einmal von mir erwähnten Grundtechniken der Endspielführung her. Wer von diesem Kurs der „angewandten Endspielführung“ wirklich profitieren möchte, sollte also bereits über ein gesichertes Endspiel-Knowhow verfügen und dieses bei der Arbeit mit den Beispielen im Buch im Hinterkopf haben.

 

Karsten Müller orientiert sich an den Feinheiten, die Weltmeister in ihren Endspielen besonders beherrschen und die in den gezielt ausgewählten Beispielen entsprechend gut zur Anwendung gelangt sind. Der Leser kann darin mindestens die Schönheit des Endspiels und des Schachspiels genießen, mit genügend Ehrgeiz und Lernwillen aber auch am Beispiel lernen.

In die Kommentierung eingearbeitet sind immer wieder mal ganz spezifisch zum Geschehen gestellte Fragen bzw. Aufgaben. Damit erreicht Müller, dass sich der Leser mit ganz bestimmten Problemlagen befasst, diese analysiert und Lösungen sucht. Beispielsweise spricht er in der Kommentierung eine in der Partie schlummernde Pointe an, um diese über eine solche Aufgabe bald darauf vom Leser suchen zu lassen.

Die Lösungen findet der Leser gesammelt am Ende des Kapitels. Eben dort abgebildet sind auch die Lösungen auf die Aufgaben, die gesammelt in einem Übungsteil im Anschluss an die Vorstellung der Einzelbeispiele auf den Leser warten. Diese Aufgaben richten sich mit einem Ausgangsdiagramm und einer Aufgabenbeschreibung an den Leser. Sie sind ebenfalls mit einem QR-Code ausgestattet, so dass sie auch mit Smartphone oder Tablet bearbeitet werden können.

Wenn ich vorstehend etwas forsch von „Kapiteln“ gesprochen habe, so nehme ich damit die formelle Ungenauigkeit in Kauf, dass „Die Endspielkunst der Weltmeister“ nicht ausdrücklich in Kapitel unterteilt ist. Als Kapitel sehe ich jeweils den abgeschlossenen Bereich an, der einem Weltmeister jeweils gewidmet ist, also von seiner Vorstellung bis zur Lösung auf die Aufgabenstellungen.

 

Das Geleitwort in beiden Bänden stammt vom rumänischen Großmeister Mihail Marin, der auch selbst als großer Endspielkenner gilt. Er skizziert das Potenzial, dass sich mit „Die Endspielkunst der Weltmeister“ verbindet, in Abhängigkeit mit der Bereitschaft des Lesers, es sich verfügbar zu machen, sehr treffend, indem er schreibt: „Das bloße Lesen von Schachbüchern macht nicht automatisch stärker. (…) Vielmehr sollte ein gutes Schachbuch dem Leser einen zuverlässigen Ausgangspunkt für eigenständige Denkarbeit und eigenständiges Analysieren bieten.“

 

Ich möchte auch noch einen Blick auf ein paar „technische Details“ richten.

Der Käufer erhält beide Bände im robusten Hardcover mit einer qualifizierten Bindung und auch einem Lesebändchen. Damit hat der Joachim Beyer Verlag ihnen eine Rahmen gegeben, der in Sachen Qualität heutzutage eher eine Ausnahme ist. Die Bücher „geben also etwas her“ und sie versprechen eine Robustheit, die dem Besitzer eine lange Freude schenken wird.

Das Druckbild ist sehr sauber, das verwendete Papier ist von hoher Qualität. Es wäre schlicht eine erbsenzählerische Nörgelei, wenn ich wenige Trennungsstriche, die in Worten zu finden sind, weil sie offenbar manuell ins Manuskript genommen und beim maschinellen Umbruch an eine falsche Stelle verschlagen worden sind, als Mangel bezeichnen würde.

 

Fazit: „Die Endspielkunst der Weltmeister“ ist ein unterhaltsames Spezialwerk zur Endspielführung, das sich besonders an den Spieler richtet, der bereits eine gewisse Spielstärke erreicht hat. Diese definiert sich u.a. dadurch, dass er bereits über ein Knowhow zur Endspielführung verfügt, auf das er bei der Betrachtung von ausgewählten Feinheiten zurückgreifen kann.

Es greift u.a. auch die Idee auf, die Spielführung mit Spielertypen in Verbindung zu bringen. Indem dabei alle bisherigen Weltmeister mit Beispielen aus ihrer Endspielpraxis porträtiert und dabei individuelle besondere Fertigkeiten unter die Lupo kommen werden, lässt „Die Endspielkunst der Weltmeister“ ganz neues Wissen entstehen.

 

Nun sind fast 30 Euro je Band bzw. fast 60 Euro für beide keine Kleinigkeit. Die Bücher sind in meinen Augen aber jeden Cent wert. Und vielleicht gibt „Die Endspielkunst der Weltmeister“ Inspiration für eine Geschenkidee.

 

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schachversand Ullrich (www.schachversand-ullrich.de) zur Verfügung gestellt.

Semkov: The modern Triangle

Semko Semkov
The modern Triangle
216 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-619-7188-27-1
19,95 Euro



The modern Triangle


Das Repertoirebuch "The modern Triangle" von IM Semko Semkov aus dem bulgarischen Verlag Chess Stars ist eine Neuerscheinung aus dem Jahr 2020. Der Autor befasst sich aus der Sicht von Schwarz mit der aus den Bauern auf c6, d5 und e6 gebildeten Triangel vor allem gegen den weißen Anzug mit 1.d4. Die Arbeit ist in der für Bücher dieser Art verlagstypischen dreiteiligen Struktur aufgebaut (Unterteilung der Kapitel in die Abschnitte "Main Ideas" (Hauptideen, strategische und andere zentrale Aspekte des jeweiligen System), "Step by Step" (Schritt für Schritt, detaillierte Darstellung und Erörterung der Theorie, Zusammenstellung des Repertoires) und "Annotated Games" (kommentierte Beispielpartien, die aber zugleich ergänzende Theorie enthalten).

Eine erste Stärke des Werkes fällt schnell nach dem ersten Aufschlagen auf - Semkov legt sehr großen Wert auf die Klärung der Strategie, die Schwarz verfolgt, wenn er sich auf seine Systeme und Varianten stützt. Schon in der Einleitung nimmt er die wesentlichen Weichenstellungen vor und leitet daraus die zentralen Pläne ab. In den "Main Ideas"-Abschnitten nimmt er den Faden dann spezifisch wieder auf. Er rät dem Leser auch dringend an, genau damit auch jedes Kapitel zu beginnen und nicht etwa sofort in "Step by Step" zu springen.

Zum Masterplan, nach dem Semkov den Triangel-Aufbau spielen will, zählen drei Prinzipien:
1. Das Feld d5 soll nicht zwingend vom d-Bauern besetzt bleiben. Vielmehr will er c4 einnehmen und darüber zweischneidige Stellungen mit offenem Zentrum und asymmetrischen Bauernstrukturen erreichen.
2. Der Mehrbauer auf c4 soll nicht unbedingt gehalten werden. In erster Linie ist er Mittel zum Zweck, Weiß vom Zentrum abzulenken. Oft wird er aufgegeben, um den Läufer zu aktivieren.
3. f7-f5 und andere Formen des Stonewalls sind tabu. Grund: Mühevolles Spiel mit nur geringen Gewinnchancen und ein Konterkarieren des Strebens nach scharfen und unausgewogenen Stellungen.

Dass Semkov auch ein gewiefter Turnierspieler ist, der in "The Modern Triangle" auch seine praktische Erfahrung investiert, wird an zahlreichen Stellen deutlich. Beispielsweise zeigt er bereits mit seinen einleitenden Worten auf, welchen Systemen er mit seiner Zugfolge aus dem Weg gehen will, weil sie von Weiß angenehm zu spielen sind, so etwa Katalanisch, der Abtauschvariante in der Slawischen Verteidigung oder auch der Botwinnik-Variante. Am herkömmlichen Turnierbrett kann auch sein Trumpf stechen, dass Weiß sich in der Noteboom-Variante auf dem Weg in einen Vorteil wähnen kann, weil dies die hergebrachte Auffassung ist, während die Statistik einen klaren Erfolgsüberhang für Schwarz aufweist.

Der folgende und allein auf die behandelten Spielweisen reduzierte Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis gibt Aufschluss über die Ordnung im Buch. Die Übersetzung ist wortgetreu gehalten.

Kapitel 1: Das Noteboom-System - Nebenvariante
Kapitel 2: Das Noteboom-System - Hauptvariante
Kapitel 3: Das Marshall-Gambit
Kapitel 4: Der Katalanische Weg
Kapitel 5: Das gerissene 4.Sbd2
Kapitel 6: 4.Dc2
Kapitel 7: 4.Db3
Kapitel 8: Die Karlsbader Struktur
Kapitel 9: 3.Sf3 c6 4.Lg5
Kapitel 10: Kampf gegen Reti und den KI-Angriff

Semkovs Erläuterungen und Erklärungen, wie die dargestellten Systeme zu spielen sind, sind mustergültig. Er arbeitet mit einem gesunden Mix aus Text und Varianten, besonders im Bereich "Step by Step". Mit oberflächlichen Kommentaren wie etwa "mit einem guten Spiel" ohne Angabe der für diese Einschätzung maßgeblichen Gründe gibt er sich regelmäßig nicht zufrieden. Der Leser wird entsprechend bestens angeleitet. Die üblichen Symbole zur Stellungseinschätzung am Ende von Varianten kommen allerdings zum Einsatz.
In dieser Gestaltung sehe ich "The Modern Triangle" schon für den noch wenig spielstarken Schachfreund als geeignet an, wobei ich den unteren Bereich des Klubniveaus im Auge habe. Auch starke Spieler dürfen sich einen Mehrwert durch den Rückgriff auf dieses Werk erhoffen. Ich spekuliere mal, dass sie aufgrund ihrer Erfahrung bereits erste Praxiseinsätze wagen können, wenn sie sich mit den Abschnitten "Main Ideas" und "Annotated Games" befasst haben.
In geringer Anzahl hat Semkov Merkregeln und Hinweise eingebaut, die sich der Leser einprägen kann.

"The Modern Triangle" umfasst 216 Seiten, 208 davon mit Inhalten zur Theorie. Verglichen mit beispielsweise "the triangle System" von Ruslan Scherbakov, Everyman Chess 2012, ist das Buch damit nur etwa halb so dick. Natürlich muss man aufpassen, dass ein solcher Vergleich nicht schon deshalb hinkt, weil es Unterschiede beispielsweise in der Zahl der aufgenommenen Diagramme, ein unterschiedlich großzügiges Druckbild oder solche einer formellen Natur gibt, insbesondere hinsichtlich von aufgenommenen Titel- und Übersichtsseiten.
Gemessen an der durchschnittlichen Zeichenzahl je Seite liegen beide Werke aber auf einer ähnlichen Höhe.
Semkov verliert sich generell weniger in Varianten-Details und er konzentriert sich schlicht auf den Gegenstand seiner Betrachtung, Aufbauten mit der Triangel. Die Schnittstelle beispielsweise zur Meraner Variante, die für ein flexibles Navigieren zwischen Systemen wichtig ist, bezeichnet er nur und verweist zum Studium auf ein anderes verlagseigenes Buch. Scherbakow hat in seinem og. Werk "sein" System abgesichert und schon allein damit eine erhebliche Anzahl an Seiten gefüllt.
Die Arbeiten beider Autoren können gut nebeneinander und sich damit ergänzend eingesetzt werden. Für ein "Theorie-Komplettpaket" benötigt man allerdings weitere Spezialwerke, die sich auch an weiteren Stellen des "Semkov-Repertoires" anflanschen.

Zahlreiche über Fragmente referenzierte Partien und Beispielpartien stammen aus dem Fernschach. Der Leser kann davon ausgehen, dass sie entsprechend unter Computereinsatz gespielt worden sind und rechnergestützt ermittelte "saubere" Züge enthalten. Semkov hat aber besonders den Spieler im Auge, der herkömmlich eine Partie in Präsenz führt. Und diesen verliert er auch dann nicht aus den Augen, wenn es um praktische Spielbarkeit geht, also auf sich allein gestellt und ohne den Rechner als Hilfsmittel. Wenn er den Bedarf dafür erkennt, unterscheidet er zwischen einem rechnerischen Ergebnis und der Einschätzung nach dem, was von einem Menschen erwartet werden kann. Er selbst hat sich bei der Prüfung von Varianten ebenfalls auf den Computer gestützt, beispielsweise durch den Einsatz von Houdini.

Die letzten Buchseiten nimmt ein Variantenverzeichnis ein, das zwar nicht allzu ausführlich ist, aber dennoch seinen Zweck erfüllt und das Auffinden der passenden Buchstelle erleichtert, wenn man auf der Basis einer bestimmten Zugfolge sucht.

"The Modern Triangle" stellt keine besonderen Anforderungen an die Fremdsprachenkenntnisse des Lesers. Mit Englischkenntnissen auf Schulniveau kommt man gut mit dem Werk zurecht.

Fazit: "The Modern Triangle" ist ein empfehlenswertes Repertoirebuch, das Spielern aus einem breiten Leistungsspektrum (niedriges Klubniveau bis zum starken Turnierspieler) Systeme unter Einsatz der Bauern-Triangel c6, d5 und e6 anbietet. Es ist auch als Hilfsmittel für den Einsatz im Fernschach geeignet, aus dem zahlreiche im Buch verwendete Partien und Fragmente stammen.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Defend like Petrosian

Alexander Khalifman & Sergei Soloviov
Defend like Petrosian
269 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-923-8
24,95 Euro



Defend like Petrosian


"Defend like Petrosian" von Alexey Bezgodov, 2020 erschienen bei New In Chess (NIC), ist ein Buch, das mich etwas verwundert. Es geht dem Autor darin um die Darstellung der Fähigkeiten zur Verteidigung des 9. Schaltweltmeisters Tigran Petrosjan. Er hat 176 Beispiele aus der Praxis des 1984 verstorbenen früheren Weltmeisters zusammengestellt, um an diesen die Verteidigungstechnik Petrosjans aufzuzeigen.
Unter diesem Ansatz ist es schwer verständlich, dass Petrosjan etwa ein Drittel der Partien verloren hat. Der Titel "Defend like Petrosian" gibt also kein Versprechen ab, dass dieser letztendlich auch einen im Partieergebnis abzulesenden Erfolg mit seinen Verteidigungsbemühungen hatte.
Ein ausgewähltes Beispiel zur irritierenden Auswahl und die in einem missglückt aufgenommenen Duell ebenfalls verwundernden Kommentare findet sich ab Seite 162 im Buch. In dieser Partie Nr. 112 im Werk führt Boris Spasski die weißen und Petrosjan die schwarzen Steine. Nach anfänglichen positiven Kommentaren wendet sich das Blatt im 21. von 37 Zügen. Spätere Kommentare haben den Inhalt, dass Petrosjan verwirrt erscheine, Selbstvertrauen vermissen lasse, er eine wichtige taktische Gelegenheit übersehen habe, um dann auch noch einen furchtbaren Patzer auszuführen, der nur mit einer schlechten Form des 9. Weltmeisters zu erklären sei. Ein passendes Beispiel in einem Buch zur Verteidigungskunst Petrosjans?

In seiner Einführung isoliert Bezgodov 12 wesentliche Kennzeichen für Petrosjans Verteidigungsverhalten. Zu diesen zählt er:
1. Intoleranz gegenüber Passivität
2. Suche nach Gegenspiel zum Preis von Zugeständnissen
3. Bereitschaft zum Spiel in Stellungen mit Ungleichgewichten
4. Schärfste taktische Vorstellungskraft
5. Gelassenheit im Spiel mit schlechtesten Stellungen
6. Optimismus
7. Tendenz zur Entspannung nach dem Überwinden einer schlechten Stellung
8. Vorliebe für Qualitätsopfer
9. Neigung zu Königswanderungen in den gefährlichsten Stellungen
10. Bauernschwächungen, die oft kaum zu erklären sind
11. Bevorzugung von Springern gegenüber Läufern
12. Depressive Stimmung in schlechten Endspielstellungen mit Leichtfiguren und ohne Gegenspiel.

Im Nachwort erklärt Bezgodov, dass er sein Werk sowohl Meisterspielern als auch wenig spielstarken Lesern empfiehlt. Für beide Gruppen sieht er Inhalte aufgenommen, die ihnen eine praktische Hilfe sein können.

"Defend like Petrosian" hat keinen Lehrbuchcharakter. Ich möchte das Werk vielmehr als eine Sammlung kommentierter Partien bezeichnen, wobei die Kommentierung den Schwerpunkt auf das Verteidigungsverhalten Petrosjans legt, ohne dass dabei die og. Aufzählungspunkte immer speziell aufgegriffen würden. Die Rückschlüsse auf Verteidigungstechniken auf der Basis der Kommentierung sind zumeist dem Leser überlassen. Diese Leistung wird vom wenig spielstarken Schachfreund kaum erwartet werden können. Ein meisterlicher Spieler wird die konkrete Situation und Kommentierung vermutlich abstrahieren, nach meiner Meinung also eher vom Werk profitieren können. Dieser kann auch eher aus den Fehlern Petrosjans in seinem Verteidigungsverhalten lernen, ohne die es zur hohen Zahl der im Buch abgebildeten Verlustpartien nicht gekommen wäre.

"Defend like Petrosian" ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil geht Bezgodov anhand von 85 Partien darauf ein, wie sich Petrosjan in jungen Jahren zum Defensivkünstler entwickeln konnte. Der zweite Teil beinhaltet 14 Kapitel. Jedes davon widmet sich den Duellen eines bestimmten Spielers gegen Petrosjan, von Botwinnik bis Portisch.

Mit englischen Fremdsprachkenntnissen auf Schulniveau dürfte sich bequem mit dem Buch arbeiten lassen. Der Wortschatz entspricht etwa dem Üblichen in Schachbüchern, auch wenn ich die Bedeutung der einen oder anderen Vokabel nachschauen musste.

Fazit: "Defend like Petrosian" ist ein Buch, das ich zwar für empfehlenswert halte, aber nicht uneingeschränkt. Wer sich beim Kauf von der Vorstellung leiten lässt, eine lehrbuchmäßige Aufarbeitung der Verteidigungstechniken des 9. Weltmeisters zu erhalten, wäre möglichweise enttäuscht. Wer ein Buch erwartet, in dem der Autor einem Sportkommentator ähnlich mit fachlichem Knowhow unterfüttert den Ablauf beschreibt, wird zufrieden sein. Gleiches gilt für den Käufer, der sich gerne mit Partien befasst, die ohne Überfrachtung mit einem Mix aus Text und Varianten kommentiert sind.
Soweit es um die Verbesserung der eigenen Fähigkeiten im defensiven Spiel mittels eines Durcharbeiten dieses Werkes geht, sehe ich eher den stärkeren als den schwächeren Spieler als den erstrangig angesprochenen Käufer.
Biografische Elemente enthält "Defend like Petrosian" eher nicht.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Squeezing the Sicilian - The Alapin Variation

Alexander Khalifman & Sergei Soloviov
Squeezing the Sicilian - The Alapin Variation
455 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-619-7188-28-8
27,95 Euro



Squeezing the Sicilian - The Alapin Variation


"Squeezing the Sicilian - The Alapin Variation" vom Autoren-Duo Alexander Khalifman und Sergei Soloviov sucht seine Käufer in einem Sektor, in dem bisher der Leuchtturm "The Complete c3 Sicilian" von Jewgeni Sweschnikow alles überstrahlt hat. Das Werk ist 2020 im bulgarischen Chess Stars Verlag erschienen und befasst sich mit der Alapin-Variante gegen die Sizilianische Verteidigung, die über die Züge 1.e4 c5 2.c3 entsteht.

Das Sweschnikow-Buch ist leider wohl, mit Ausnahme eines Bezugs über ein Antiquariat, vergriffen und beinhaltet natürlich auch keine nach dem Erscheinungsjahr 2010 eingetretenen Entwicklungen. Es bot dem Leser aber die Möglichkeit, den Einsatz des Systems von Grund auf und auch unter einem ganzheitlichen Ansatz zu verinnerlichen. So wurden beispielsweise die Bauernstrukturen und die daraus entstehenden Folgen, teilweise bis ins Endspiel, untersucht und Schlüsse für die Spielführung daraus erläutert. Übungsaufgaben mit Lösungen versetzten den Leser in die Lage, den Stand und den Erfolg seines Studiums zu überprüfen und damit auch seine Erkenntnisse zu erweitern.
"Squeezing the Sicilian - The Alapin Variation" bietet diese Möglichkeiten nicht. Dafür aber repräsentiert das Buch einen aktuelleren Stand des Wettkampfschachs und entwickelt die Theorie mit zahlreichen Analysen weiter, vor allem auch neben den am häufigsten gespielten Varianten.
M.E. ganz fein raus ist derjenige, der das Sweschnikow-Buch besitzt und das neue Werk "Squeezing the Sicilian - The Alapin Variation" als Update und Erweiterung einsetzen kann. Die beiden schwarzen Hauptalternativen sind 2...d5 und 2...Sf6 und diese werden entsprechend in beiden Werken als Schwerpunkte behandelt.

Zweifelsohne aber kann man auch allein mit der Arbeit von Khalifman und Soloviov gut und erfolgreich arbeiten. Ich werde mich nunmehr auf die Ergebnisse meiner Begutachtung dieses Werkes ohne Blick auf andere beschränken.
Khalifman gibt für die Autoren in einem Vorwort, das allerdings nicht als solches überschrieben ist, die wesentlichen Prinzipien ihres Ansatzes an, unter dem sie das Buch geschrieben haben. Sie sind mitbestimmend bei der Auswahl des Stoffes und der ausgesprochenen Empfehlungen zur Theorie. Zugleich geben sie dem Leser damit einen Ratschlag zur strategischen Auswahl der von ihm gespielten Systeme. Khalifman nennt und erläutert, von mir auf das Wesentliche gekürzt, die folgenden Prinzipien und Ratschläge:
1. Keine scharfen modernen Varianten spielen, deren Bewertung sich ständig ändert.
2. Spielweisen wählen, in denen es zu einer Verlagerung des Kampfes ins Mittelspiel kommt, wobei Varianten vermieden werden, in denen es auf jeden Zug genau ankommt.
3. Varianten wählen, in denen alle Eröffnungssituationen nach allgemeinen Prinzipien und ohne eine zwingende Anwendung bestimmter Zugfolgen aus dem Gedächtnis spielbar sind.
4. Spielweisen wählen, in denen Schwarz genau spielen muss, um mit Ausgleich ins Mittelspiel zu kommen.
5. Die Stellung "nach alter Schule" auf einer soliden positionellen Basis mit den Elementen Zentrum, Entwicklung, Figurenaktivität und solide Bauernstruktur aufbauen.
6. Die Standard-Bauernstrukturen im Sizilianer und den durch sie geprägten Kampf vermeiden.

Sinngemäß übersetzt trägt das Vorwort die Überschrift "Ein reicher Kaufmann bekämpft das sizilianische Chaos". Was uns die Autoren damit sagen wollen, ist mir leider nicht zu klären gelungen. Es gibt mehrere Sagen, Gleichnisse etc., auf die sie sich beziehen können. So mag der Leser seine eigene Interpretation finden …

Das Buch ist in drei Teile mit insgesamt 20 Kapiteln gegliedert. Das Inhaltsverzeichnis greift auf die jeweils behandelten Varianten zurück und gibt dadurch mit zunehmender Variantenlänge auch bereits einen Einblick in die ausgesprochenen Hauptempfehlungen.
Der folgende Auszug bietet einen entsprechenden Überblick (er stimmt nicht exakt mit dem gedruckten Inhaltsverzeichnis überein, da ich kleine Korrekturen bzw. Ergänzungen vorgenommen habe).

Teil 1:
1) Seltene Antworten im 2. Zug (A. 2...Dc7; B. 2...Da5; C. 2...Sc6)
2) 2...b6 3.d4 Lb7 4.Ld3
3) 2...g6 3.d4
4) 2...a6 3.Sf3
5) 2...e5 3.Sf3
6) 2...d6 3.d4
7) 2...e6 3.d4

Teil 2: 2...d5 3.exd5
8) A. 3...Sf6 4.Da4; B. 3...Dxd5 4.d4 Lf5; 4...e5
9) 3...Dxd5 4.d4 g6 5.Sf3
10) 3...Dxd5 4.d4 cd 5.cd e5; 5...Sc6 6.Sf3 Lg4; 6...e5
11) 3...Dxd5 4.d4 cd 5.cd e6 6.Sc3 ohne Sc6; 5...Sc6 6.Sf3 e6 7.Sc3
12) 3...Dxd5 4.d4 e6 5.Sf3
13) 3...Dxd5 4.d4 Sc6 5.Sf3
14) 3...Dxd5 4.d4 Sf6 5.Sf3

Teil 3: 2...Sf6 3.e5 Sd5 4.Sf3
15) A. 4...a6; B. 4...g6; C. 4...d6; sowie 4...b6
16) 4...e6 5.Lc4 Sc6; 5...b6; 5...Sc7; 5...Sb6
17) 4...e6 5.Lc4 d6 6.d4 Sc6; 6...Le7; 6...de; 6...cd 7.cd de; A. 7...Sb6; B. 7...Le7 (ohne Sc6); C. 7...Sc6 (ohne Le7) sowie 7…Ld7
18) 4...e6 5.Lc4 d6 6.d4 cd 7.cd Sc6 8.0-0 Le7 9.De2
19) 4...Sc6 5.d4 e6; 5...cd 6.cd g6; 6...d6 7.Lc4 de 8.de
20) 4...Sc6 5.d4 cd 6.cd d6 7.Lc4 Sb6 8.Lb3; 8.Lb5.

In einer anderen Rezension las ich die Kritik, dass es im Werk größtenteils Variantenkost im Informatorstil und nur hier und da verbale Erklärungen gebe. Diesem Urteil kann ich mich so nicht anschließen. Es gibt einzelne Passagen, auf die es zutreffen mag, doch bilden diese eher eine Ausnahme. Sie sind dann auch offenbar dem Anliegen der Autoren geschuldet, Beispiele zu geben und diese dann ggf. sogar einiges in die Tiefe zu führen. Mit Blick auf das gesamte Buch erklären und erläutern die Autoren intensiv. Ihrem Ansatz und ihren Prinzipien entsprechend versetzen Sie den Leser damit in die Lage, auf der Basis seines Stellungsgefühls in Situationen zu spielen, die möglichst wenig von Theorie erfasst sind. So etwa zeigen sie die jeweiligen Pläne auf und begründen zumeist auch ihre Einschätzungen, Bewertungen und Empfehlungen. Diese Aussagen sind dann regelmäßig nicht von der oberflächlichen Natur wie "Weiß steht besser", sondern konkret wie "Weiß steht besser, weil …".

"Squeezing the Sicilian - The Alapin Variation" ist klassisch in der Form einer Baumstruktur organisiert. Die Hauptvariante folgt oft einer Partie aus der Praxis. Neben den Nebenvarianten in der Form von Partiefragmenten, die in einer erheblichen Zahl aus dem Fernschach stammen, steuern die Autoren auch zahlreiche eigene Analysen bei.
Mit 455 Seiten hat das Werk eine beachtliche Stärke. Die Züge der Hauptvarianten sind fett gedruckt und vom übrigen Text abgesetzt. Die Varianten unterschiedlicher Ordnung sind dies nicht, was sich platzsparend auswirkt, manchmal aber auch etwas die Übersicht beeinträchtigt. Es sind zahlreiche Diagramme eingearbeitet worden, wobei sich jene in den Nebenvarianten durch eine etwas geringere Größe gegenüber den Diagrammen in den Hauptvarianten schnell erkennen lassen. In etlichen längeren Varianten hätten weitere Diagramme Sinn machen können, was dann allerdings wohl einen Konflikt mit dem Umfang des Buches erzeugt hätte.

Die Autoren hoffen darauf, dass der Gegner möglicherweise nicht weiß, was er gegen die von ihnen gewählten Linien tun soll. Dabei lassen sie sich von der Überlegung leiten, dass Spieler häufig die Hauptvarianten sehr gründlich analysieren, die Nebenvarianten aber nicht. Dies soll dem Leser dabei helfen, die Sizilianische Verteidigung des Gegners zu kneten und zu quetschen, wie sie es schon im Buchtitel zum Ausdruck bringen.
Wer nun wen knetet und quetscht, ist allerdings nicht entschieden, wenn auf der anderen Brettseite doch jemand sitzt, der sich gut in den vom Buch offerierten Linien auskennt. Nicht jeder heißt Magnus Carlsen, ist Weltmeister und hat dessen Positionsgefühl, um spielbare Stellung möglichst am Limit zu beherrschen. Carlsen hat in jungen Jahren und auch wieder ganz aktuell und nicht nur im Blitzschach den Alapin-Sizilianer für sich entdeckt und mit weltmeisterlicher Punkteausbeute gespielt.

Vollständige Partien zur Illustration etc. enthält "Squeezing the Sicilian - The Alapin Variation" nicht. Im Rahmen der Besprechung werden einzelne Partien zum Teil bis in eine besondere Tiefe verfolgt, die Verbindung der Stellungsstruktur bis zur Spielführung im Endspiel veranschaulichen diese allerdings nicht.

Von kleineren Ungenauigkeiten, die zu keiner Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit führen, sowie den für meinen Geschmack zu dünnen Karton für den Einband abgesehen, sind Material und Druck gut. Im Text kann schon mal ein Figurensymbol statt des zutreffenden Buchstaben in einem Wort erscheinen, weil es ein Versehen zum Zeichensatz gibt. Die Rückseite des Einbands war schon leicht angeknittert, als ich "Squeezing the Sicilian - The Alapin Variation" zur Rezension erhielt, was mit einer etwas großzügigeren Kartonstärke wohl nicht zu erwarten gewesen wäre.

Das ausführliche Variantenverzeichnis am Ende des Buches gefällt mir gut. Im Quellenverzeichnis wird "The Complete c3 Sicilian" von Sweschnikow aus dem Jahre 2010 nicht aufgeführt, was mich etwas verwundert, zumal ältere andere Werke aufgenommen sind.

Englische Fremdsprachkenntnisse auf einem normalen Schulniveau dürften größtenteils ausreichen, um bequem mit dem Werk arbeiten zu können.

Nun stellt sich noch die Frage, welche Spieler zuvorderst von dieser Arbeit angesprochen werden. Für mich ist dies der Spieler ab einem unteren Klubniveau, weil bereits er auf der Basis der ausführlichen und gelungenen Erklärungen und Erläuterungen die behandelten Spielweisen erlernen können dürfte. Wenn er - so etwas im Stil des Weltmeisters Magnus Carlsen - spielbare Stellungen erhalten möchte, die einerseits die üblichen Sizilianisch-Wege vermeiden und andererseits noch nicht von Theorie überfrachtet sind, ist das Werk für ihn eine sehr gute Quelle.
Daneben ist "Squeezing the Sicilian - The Alapin Variation" ein ganz klar auch für den Fernschachspieler geeignetes Werk.

Fazit: "Squeezing the Sicilian - The Alapin Variation" ist ein gelungenes, sehr ausführliches und aus der Warte von Weiß geschriebenes Repertoirebuch zur Alapin-Variante der Sizilianischen Verteidigung. Es eröffnet bereits dem Klubspieler die Chance auf ein zu einem tieferen Verständnis der Spielweisen führendes erfolgreiches Studium. Wer "The Complete c3 Sicilian" von Jewgeni Sweschnikow aus dem Jahr 2010 besitzt, kann das besprochene Werk gut als Update und Ergänzung nutzen.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Modernized Nimzovich Defense 1.e4 Nc6

Christian Bauer
The Modernized Nimzovich Defense 1.e4 Nc6
263 Seiten, kartoniert
ISBN: 9789492510969
28,95 Euro



The Modernized Nimzovich Defense 1.e4 Nc6


Die mit 1.e4 Sc6 eingeleitete Nimzowitsch-Verteidigung gilt seit jeher als eine Wahl, mit der sich Schwarz größere Probleme im Streben um Ausgleich oder zumindest passable Gegenchancen aufhalst als in den Hauptsystemen. Dennoch findet sie immer wieder neue Anhänger, die beispielsweise auf einen Überraschungseffekt und eine weniger ausgearbeitete Vorbereitung beim Gegner setzen. Zu den sehr starken Spielern, die sie immer mal wieder einsetzen, gehören beispielsweise auch Weltmeister Magnus Carlsen sowie der französische Großmeister Christian Bauer.

Mit dem Werk "The Modernized Nimzovich Defense 1.e4 Nc6", 2020 erschienen bei Thinkers Publishing, hat Bauer ein Buch über die Eröffnung geschrieben, mit dem er dem Leser die Basis für ein Repertoire anbietet. Von einem vollständigen Repertoire möchte ich nicht sprechen, weil es sich eben auf Schwerpunkte konzentriert und auch nicht gegen alle realistisch zu erwartenden Alternativen von Weiß abgesichert ist. Dies soll den Wert des Buches allerdings nicht schmälern, denn es zählt meines Erachtens zum Wesen dieser Eröffnung, dass es noch nicht für alle Zweige eine Antwort der Theorie gibt. Es sei auch dahingestellt, ob die Nimzowitsch-Verteidigung ihren vollen Reiz für den Anwender behalten würde, wenn er tatsächlich für alle wichtigen Eröffnungsstellungen Lösungen erhielte, mit denen er sich also auch zur Vorbereitung befassen sollte. Eher zum System passt da der umgesetzte Ansatz, dass neben konkreten Varianten auch Knowhow vermittelt wird, mit dem der Anwender in seiner Partie fundiert eigene Lösungen finden kann.

Bauer hat seine Arbeit klassisch in der Form eines Baumes aus Haupt- und Nebenvarianten organisiert, wobei die Hauptvariante regelmäßig einer in der Praxis ausgetragenen Partie entnommen ist und teilweise auch in eine große Tiefe der Partie vorgetragen wird. Die Nebenvarianten sind ein Mix aus Partiefragmenten sowie eigenen Analysen. Bauer erklärt und erläutert intensiv, wobei er sich am Verständnisvermögen eines Spielers orientiert, das um einiges höher als bei einem Anfänger liegt. Dieser Ansatz zeigt sich beispielsweise in Kommentaren wie
- "Schwarz hat gute Ausgleichschancen nach …",
- "und Weiß steht besser" oder
- "ich bevorzuge die weiße/schwarze Stellung",

ohne die dafür maßgeblichen Gründe zu benennen. Ich halte diese Ausrichtung für angemessen und konsequent. Weiß verschafft sich auch im Rahmen der Buchempfehlungen regelmäßig mehr Raum für seine Aktionen und kommt zumeist auch schneller zum Zuge, was einen unerfahrenen Spieler auf der Suche nach Gegenchancen zu meistern schwerfällt, trotz aller möglichen Überraschungseffekte. Die Nimzowitsch-Verteidigung ist deshalb als Anfänger-Eröffnung nicht gut geeignet, was Bauer in seinen Erläuterungen somit gewissenmaßen auch spiegelt.

Zahlreiche Buchbeispiele sind mit kurzer Bedenkzeit und auch im Blitzschach gespielt worden. Tendenziell dürfte die Nimzowitsch-Verteidigung den überraschten Gegner in diesen Turnieren mehr Probleme bereiten, wenn er seine Antworten nicht aus der Erinnerung heraus abspulen kann und er die Uhr im Auge behalten muss. Aus dem Fernschach stammende Partien habe ich in "The Modernized Nimzovich Defense 1.e4 Nc6" nicht gefunden. Die Verteidigung wird hier tatsächlich kaum eingesetzt, zumindest in höheren Leistungsbereichen, da die Bedenkzeit und eingeprägte Eröffnungstheorie kaum eine Rolle spielen.

Das Buch ist in 6 Teile mit 16 Kapiteln gegliedert. Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis sieht in einer übersetzten Fassung entsprechend wie folgt aus:

Teil I - Alternativen zu 2.d4 und 2.Sf3
Kapitel 1 - 2.Lb5
Kapitel 2 - 2.Sc3
Kapitel 3 - Übungen Teil I
TEIL II - 2.d4
Kapitel 4 - 2...e5
Kapitel 5 - 2...d5
Kapitel 6 - Übungen Teil II
TEIL III - Einführung zu 2.Sf3
Kapitel 7 - Frühe Alternativen
Kapitel 8 - 4.Sc3 g6 5.Lb5
Kapitel 9 - Übungen Teil III
TEIL IV - 2.Sf3 d6 3.d4 Sf6 4.Sc3 g6 (ohne ein frühes d4-d5)
Kapitel 10 - 5.h3
Kapitel 11 - Alternativen im 5. Zug
Kapitel 12 - Übungen Teil IV
TEIL V - 2.Sf3 d6 3.d4 Sf6 4.Sc3 g6 (mit einem frühen d4-d5)
Kapitel 13 - 5.d5
Kapitel 14 - Alternativen im 5.Zug
Kapitel 15 - Übungen Teil V
TEIL VI - Abschließende Gedanken
Kapitel 16 - Lösungen.

Wie man schon anhand dieser Zusammenstellung erkennen kann, legt Bauer 2.Sf3 als den Schwerpunkt seiner Betrachtungen fest. Sie zeigt zudem auf, in welchen Entwicklungen er die Hauptlinien sieht.
Zu den wichtigen Fortsetzungen 2.d4 e5 und 2.d4 d5 ist dies nicht der Fall.
Die Hauptlinie zu 2.d4 e5 im Kapitel 4 sieht Bauer in der Fortsetzung 3.dxe5 Sxe5 4.f4 Sc6. Hier vermisse ich die wichtige Alternative 4…Sg6, wenngleich für Schwarz. Das Fehlen lässt sich wohl damit erklären, dass der Zug aus Repertoiregründen nicht aufgenommen worden ist.
Die Hauptlinie zu 2.d4 d5 sieht Bauer in 3.e5 Lf5 4.c3 e6 5.Ld3 Sge7 6.Lg5. Rechnen muss Schwarz aber auch mit 6.Se2. Das Buch greift diesen Bedarf auf und bietet als Nebenvariante 6.Se2 Dd7 7.b3 usw. an. Eine natürliche Entwicklung leitet aber auch die naheliegende kurze Rochade ein, beispielsweise in der Zugfolge 7.0-0 f6 8.f4 h5 9.b4 usw. Hier muss der Leser dann auf sich gestellt fortsetzen.

Der Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis zeigt auch, dass die Teile 1 bis 5 jeweils mit einem Übungskapitel abgeschlossen werden und das Kapitel 16 die Lösungen anbietet. Zu jedem Theoriekapitel findet der Leser 4 bis 9 Übungsaufgaben vor, die mittels eines Diagramms zur Brettsituation und einer frei formulierten Aufgabe gestellt werden. Er muss in aller Regel sehr konstruktiv vorgehen, die Lösung verlangt ihm zumeist einiges ab. Diese Aufgabenstellungen sind allesamt eine Stärke des Buches. Über sie wird der Leser in die Lage versetzt, sein Verständnis zur Eröffnung zu überprüfen und auch zu erweitern. Ich meine zu erkennen, dass Bauers Erfahrung als Praktiker zur Nimzowitsch-Verteidigung einen großen Anteil am Gelingen der Übungskapitel beigetragen hat.

Hinsichtlich der Gestaltung hat Thinkers Publishing auf die bewährten Formen zurückgegriffen, für die der Verlag auch bekannt ist. Die Teile des Buches sowie darin die einzelnen Kapitel sind klar voneinander abgegrenzt. Deckblätter informieren darüber, was in der Folge behandelt wird. Jedem Kapitel geht ein Variantenverzeichnis voran.
Die saubere und deutlich erkennbare Trennung der Inhalte wird auch in den Kapiteln beibehalten. Die Varianten bzw. eine Weichenstellung vornehmenden Züge werden jeweils deutlich und in einem grau gefüllten Textfeld hervorgehoben. Die Züge der Hauptvariante sind fett gedruckt. Die Nebenvarianten sind anhand der Druckstärke in ihrer Ordnung zu erkennen. Es gibt zahlreiche Diagramme, die, soweit sie Stellungen aus Nebenvarianten abbilden, etwas kleiner als jene zu den Hauptzügen sind. Jedes Diagramm informiert den Leser in einer Fußzeile zusätzlich zur Position, welche es abbildet.

Die Teile 1 bis 5 des Buches sowie einige Kapitel werden vom Autor am Ende noch einmal wertend zusammengefasst.

"The Modernized Nimzovich Defense 1.e4 Nc6" enthält Varianten, die in andere Systeme überleiten können, insbesondere in die Spanische Partie, die Wiener Partie, die Französische Verteidigung und die Skandinavische Verteidigung. Dies eröffnet die Möglichkeit zur Gestaltung des eigenen Repertoires unter einer aktiven Einbeziehung der Chancen aus Übergängen.

Gewünscht hätte ich mir auch ein das ganze Buch überspannendes Variantenverzeichnis sowie ein Quellenverzeichnis, die allerdings üblicherweise in den Büchern von Thinkers Publishing fehlen.

Das Buch ist in englischer Sprache geschrieben. Die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse sind moderat und mit Schulenglisch gut zu bewältigen.

Fazit: "The Modernized Nimzovich Defense 1.e4 Nc6" bietet dem Spieler ab ca. Klubniveau eine gute Basis für ein Repertoire zur Nimzowitsch-Verteidigung.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Modernized Modern Defense

Daniel Fernandez
The Modernized Modern Defense
374 Seiten, kartoniert
ISBN: 9789492510884
29,95 Euro



The Modernized Modern Defense


"The Modernized Modern Defense" von Daniel Fernandez, 2020 bei Thinkers Publishing erschienen, ist das vielleicht ehrlichste Repertoirebuch, das mir je begegnet ist. Der Autor, englischer Großmeister und Gewinner der U18- und U21-Titel, erinnert mich etwas an einen Hauseigentümer, der den Schlüssel unter die Fußmatte legt und dann auch noch auf einem Schild an der Tür darauf hinweist. Wieso das? Weil er ein Schwarz-Repertoire auf der Basis von 1.e4 g6 2.d4 Lg7 vorstellt und zugleich auch einen Bereich eingearbeitet hat, der Weiß zeigt, wie er dieses Repertoire am besten aushebeln kann. Für den Fall, dass im Duell Weiß diesen Weg beschreitet, versucht der Autor den Leser so auszustatten, dass dieser seinem Gegenüber das Leben so schwer wie möglich machen kann.
Mir gefällt dieser ehrliche Ansatz. Die Moderne Verteidigung ist ein System, das Schwarz nicht von vornherein ein ausgeglichenes Spiel verspricht. Seine Vorzüge liegen in anderen Werten, nämlich beispielsweise darin, dass ihre Theorie noch vergleichsweise weniger als bei Standarderöffnungen ausgearbeitet ist und das persönliche Stellungsgefühl eine größere Bedeutung im Kampf in einer herkömmlich geführten Partie gewinnt.
Warum also sollte ein Autor so tun, als ob er den Schlüssel dafür gefunden hätte, ein "Rand"-System zu einer gleichwertigen Alternative zu den Haupteröffnungen entwickelt zu haben?

Fernandez hat auch Engines zur Stellungsbewertung beigezogen. Diese werten bei Systemen, die beim Streben um Ausgleich längerfristig angelegt sind, tendenziell pessimistischer als gewöhnlich. Dies gilt nicht nur für die Buchsysteme, sondern beispielsweise auch für einen Hochkaräter wie die Königsindische Verteidigung. Bisweilen geht Fernandez in Konflikt mit deren Rechenergebnissen. Hier hätte ich mir gewünscht, dass er dann konsequent jeweils den Grund für seine abweichende Einschätzung angegeben hätte. Ein klares Beispiel, in dem mir diese Verdeutlichung fehlt, findet man auf Seite 157. Hier schreibt er, dass die Engines einen klaren Vorteil für Weiß angeben, während er die Stellung mit +/= bewertet. In der fraglichen Stellung hat Weiß Dame, Turm und zwei Springer gegen zwei Türme, zwei Läufer und Springer auf schwarzer Seite, jeweils mit sechs Bauern. Stockfish erkennt auf einen klaren weißen Vorteil, den ich auch nachvollziehen kann. Ich denke, dass Fernandez in seine Einschätzung die Atmosphäre und die Bedingungen einer Turnierpartie einbezogen hat. Zugunsten einer besseren Einschätzbarkeit auf der Leserseite hätte ich dies dann gerne erfahren.

Der Titel fokussiert auf die Moderne Verteidigung. Um alles, was das Buch abdeckt, näherungsweise auszudrücken, müsste auch die Pirc-Verteidigung darin genannt werden, denn das Repertoire läuft teilweise in diese hinein.
Manche Stellungsbilder entwickeln eine Ähnlichkeit zu weiteren Systemen, so etwa aus dem Bereich der Sizilianischen Verteidigung, aber auch zum Grand-Prix-Angriff sowie zur Königsindischen Verteidigung.

Das Buch ist in vier Teile gegliedert. Das Repertoire wird in den Teilen 2 bis 4 mit insgesamt 15 Kapiteln erörtert. Teil 1 enthält - etwas ungewöhnlich positioniert - zur Veranschaulichung, vielleicht auch zur Einstimmung, fünf kommentierte Beispielpartien. Der entsprechende Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis sieht in einer sinngemäßen Übersetzung und einer Übertragung von Eröffnungsbezeichnungen in eine bei uns geübte Praxis wie folgt aus:

Teil 1: Beispielpartien

Teil 2: Pirc-Zugumstellungen
Kapitel 1 - System mit 4.Le3
Kapitel 2 - Pirc - Österreichischer Angriff ohne 6.Lb5+
Kapitel 3 - Pirc - Österreichischer Angriff mit Lxd7
Kapitel 4 - Pirc - Österreichischer Angriff mit 8.e6
Kapitel 5 - Pirc - Klassische Variante mit 7.Lf4 und 7.Lg5
Kapitel 6 - Pirc - Klassische Variante, andere 7. Züge

Teil 3: Verschiedene Systeme
Kapitel 1 - Die Variante mit 4.Lc4
Kapitel 2 - Systeme mit anderen Läuferzügen
Kapitel 3 - Systeme mit einem vorbeugenden 5.a4
Kapitel 4 - Systeme mit 3.c4 oder 4.c4
Kapitel 5 - Verbundene Systeme nach Auswahl von Schwarz

Teil 4: Reine "Moderne Verteidigung"-Systeme
Kapitel 1 - Vier-Figuren-Systeme
Kapitel 2 - Österreichischer Angriff in der Modernen Verteidigung ohne ein frühzeitiges Le3
Kapitel 3 - Aufbau mit Le3 und Dd2 ohne 6.f3
Kapitel 4 - Aufbau mit Le3 und Dd2 mit 6.f3.

Ein Repertoirebuch wie "The Modernized Modern Defense", das den Leser in die Lage versetzen will, eine Eröffnung auf der Basis eines inneren Verstehens anzuwenden, muss entsprechend viel erklären, um das Verständnis zu fördern. Genau das macht Fernandez. Er erklärt sehr intensiv und zeigt sehr häufig auf, was eine Seite (erreichen) will. Damit öffnet er die Pläne für den Leser, sowohl zur Strategie als auch zur Taktik. Der Leser prägt sich keine Varianten etc. ein; er denkt sich in die Systeme und Spielweisen ein, um in seiner eigenen Partie die system- und stellungsgerechten Entscheidungen über seine Züge zu treffen.
Dies verlangt Fernandez auch vom mit Weiß gegen das von ihm zusammengestellte Repertoire spielenden Gegner. Er soll ebenfalls nicht einfach auf nur angeeigneten Pfaden "reproduzieren" können, sondern nach Möglichkeit zu echten eigenen Entscheidungen gezwungen werden. Auf Seite 61 gibt Fernandez ein gutes Bild zu seiner Intention: Weiß soll nicht wie mit Autopilot spielen können.

In dieser Gestaltung erinnert "The Modernized Modern Defense" an Bücher, die dem Leser vermitteln wollen, wie eine Eröffnung sinnvoll zu spielen ist, ohne auch gleich ein Repertoire anzubieten. Beispiele sind die "move by move"- Reihe von Everyman Chess, "play the …"-Reihen verschiedener Verlage sowie auch die "richtig gespielt"-Bücher aus dem deutschen Joachim Beyer Verlag.
Mit rund 375 Seiten ist das vorliegende Werk durchaus umfangreich, wenn man diese mit dem abgedeckten Repertoire ins Verhältnis setzt. Dies mag einen zusätzlichen Hinweis auf den Umfang der Erläuterungen geben.

Wie für Bücher von Thinkers Publishing üblich ist "The Modernized Modern Defense" sehr übersichtlich gestaltet. Jedes Kapitel wird von einem Deckblatt eröffnet, das neben dessen Bezeichnung auch die Ausgangszugfolge sowie ein Diagramm zu deren Abschlussstellung enthält. Auf der Rückseite ist das Variantenverzeichnis zum Kapitel abgebildet. Ihm folgt eine Einleitung, mit dem das zur Besprechung anstehende System kurz auf seine wesentlichen Charakterzüge hin skizziert wird. In der Folge werden die einzelnen Varianten jeweils deutlich und in einem grau gefüllten Textfeld hervorgehoben, bevor auch sie mit ihrer Ausgangszugfolge konkretisiert werden. Alle Hauptzüge sind fett gedruckt, die gut im Text abgehobenen Nebenvarianten in einfacher Stärke. Nebenvarianten zweiter Ordnung sind noch einmal durch eine etwas geringere Druckstärke abgesetzt, so dass auch sie auf den ersten Blick als solche erkannt werden können. Tiefere Verschachtelungen gibt es im Werk nicht; zumindest sind sie mir trotz Suche nicht aufgefallen.
Zahlreiche Diagramme unterstützen den Leser beim Studium. Sofern sie sich auf Nebenvarianten beziehen, sind sie etwas kleiner als jene zu den Hauptzügen. Jedes Diagramm informiert den Leser in einer Fußzeile zusätzlich zur Position, welche es abbildet.

Die wesentlichen Aspekte und Erkenntnisse eines Kapitels fasst Fernandez am Ende des Kapitels noch einmal zusammen.
Zumindest teilweise macht es Sinn, zunächst diese Zusammenfassung zu lesen, bevor man sich dem Kapitel in Gänze widmet. Dies wird beispielsweise auf Seite 94 in der Zusammenfassung zum Kapitel 2 des 2. Teils deutlich. Hier gibt Fernandez eine Empfehlung für das Studium in Abhängigkeit von den Präferenzen des Lesers. Zumindest wenn dieser solche bereits hat, kann er sein Studium entsprechend gestalten.

Ab Seite 201 (Teil 3, Kapitel 2) findet der Leser, der davon überzeugt ist, mit Weiß einen zumindest kleinen Eröffnungsvorteil gegen die Moderne Verteidigung herausholen zu können, das nach Fernandez "offizielle Handbuch" dazu.
In den hier betrachteten Varianten hat es Schwarz generell nicht leicht, ein befriedigendes Gegenspiel aufzubauen. Wenn man sich gegen die Moderne Verteidigung mit Weiß präparieren möchte, kann man vor allem seinen Aufwand reduzieren, indem man sich zunächst mit diesem Kapitel befasst. Vorteil erlangt Weiß auch bei genauem Spiel in anderen Varianten, nur eben verbunden mit einer breiter gestreuten Vorbereitung.

Beim Adressatenkreis des Werkes, hier auf den Einsatz mit den schwarzen Steinen bezogen, sehe ich verschiedene Aspekte angesprochen. Wer sich im unteren und mittleren Leistungsbereich auf der Basis von "The Modernized Modern Defense" in die Moderne Verteidigung einfuchst, verschafft sich nach meiner Einschätzung gute Aussichten darauf, mehr von den Systemen als sein Gegner zu verstehen. Hier meine ich das "Verstehen" im echten Wortsinn. Das kann vermutlich manchen Erfolg zum Beispiel auf der Ebene des Klubspielers möglich machen, weil der Gegner die objektiv besten Möglichkeiten gegen die "Moderne Verteidigung" á la Fernandez am Brett nicht finden wird. Spannende und interessante Partien auf zumindest noch nicht häufig betretenen Pfaden werden sich aber häufig ergeben können.
Im Fernschach ist damit zu kalkulieren, dass der Gegner die Partie begleitend Hilfsmittel beiziehen darf und so hart am Optimum spielen wird. Da die Moderne Verteidigung wie auch die Pirc-Verteidigung nicht etwa minderwertig ist und die Remisbreite im rechnergestützten Fernschach Niederlagen immer mehr entgegensteht, wird man auf der Basis von "The Modernized Modern Defense" mit noch weniger Gewinnaussicht als ohnehin schon spielen, grundsätzlich aber bestehen können.

Englische Fremdsprachkenntnisse auf Schulniveau sollten reichen, um mit dem Werk überwiegend bequem arbeiten zu können.

Fazit: "The Modernized Modern Defense" ist ein Repertoirebuch, das sich in erster Linie für den Einsatz im herkömmlichen Turnierschach eignet. Es vermittelt dem Leser die Chance, Spielweisen der Modernen Verteidigung und der Pirc-Verteidigung so zu verinnerlichen, dass er seine Partie mit selbst am Brett ermittelten klugen Zügen führen kann. Dieser Aspekt überwiegt den weiteren Vorteil, dass das Werk ein konkret gestaltetes Repertoire anbietet, weil der Leser selbst beim Verlassen konkreter Pfade nicht aus dem Spiel kommen wird.
Das Repertoire ist aus der Warte von Schwarz geschrieben, kann aber auch für die Spielführung mit Weiß genutzt werden, soweit die Partie in den Empfehlungen für Schwarz bleibt. Eine Ausnahme bildet ein Kapitel, das sich gerade Weiß zunutze machen kann, weil er auf dessen Basis mit einem reduzierten Aufwand zu einer guten Vorbereitung gegen die Bucheröffnungen kommen kann.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Das große Lehrbuch des Positionsspiels

Konstantin Sakaev & Konstantin Landa
Das große Lehrbuch des Positionsspiels
762 Seiten, gebunden, Hardcover
ISBN: 978-90-5691-967-2
39,50 Euro



Das große Lehrbuch des Positionsspiels


"Das große Lehrbuch des Positionsspiels" von Konstantin Sakajew und Konstantin Landa, 2021 erschienen bei New In Chess (NIC) ist die in einem Werk zusammengefasste Übersetzung der englischsprachigen Originale "The Complete Manual of Positional Chess, Volume 1 und 2". Diese stammen aus den Jahren 2016 und 2017 und wurden von mir in 2017 sowie 2019 in Rezensionen vorgestellt.
Bei meiner aktuellen Arbeit kann ich mich ganz überwiegend auf die Inhalte der früheren Rezensionen stützen. Ein paar Punkte sind mir neu aufgefallen und eine Ergänzung der Rezension wert. Zudem habe ich ein Auge auch auf die Qualität der Übersetzung geworfen, womit ich auch beginnen möchte. Diese ist von Frank Zeller erstellt worden, deutscher Internationaler Meister, selbst Autor und Trainer. Man merkt dem Buch durchgängig an, dass der Übersetzer in seiner Muttersprache tätig geworden ist. Es ist sprachlich insgesamt einwandfrei und nicht von Werken zu unterscheiden, die von vornherein in Deutsch geschrieben worden sind. Es zeigt zudem, dass der Übersetzer weiß, wovon er spricht. Etwas kuriose Begriffe und Wendungen, wie sie sonst schon mal in vergleichbaren Büchern zu finden sind, gibt es im "Das große Lehrbuch des Positionsspiels" nur ganz selten. Wenn ich nun hierzu ein Beispiel für eine Ausnahme gebe, so dient dieses auch als vorgezogene Zusammenfassung des Nutzens für den Leser. "Mit seinem allumfassenden Ansatz erlaubt dieses bahnbrechende Buch Jedermann, die Früchte der langen Tradition instruktiver Spitzenleistungen in Russland zu pflücken"; so ist es an exponierter Stelle, im Rückentext, zu lesen. In Deutschland erntet jedermann [in einer Bedeutung von ‚alle' und deshalb klein geschrieben] sprichwörtlich die Früchte der eigenen Arbeit und pflückt sie nicht.

Die Autoren stützen sich auf Material, mit dem Schachlehrer der DYSS, Talentschule im russischen Schach, schon viele fortgeschrittene junge Spielerinnen und Spieler zur weiteren Entwicklung verholfen haben. Ausgerichtet ist es an einer Spielstärke der Schützlinge, die sich an einer Elozahl von ca. 2000 bis 2200 orientiert. Allerdings sollen sich auch durchaus stärkere Spieler oder deren Trainer angesprochen fühlen, die von Teilinhalten ebenfalls werden profitieren können.
In erster Linie wollen die Autoren Schachlehrer und Trainer mit ihrem Werk erreichen und ihnen Material, Anleitung und Unterstützung zukommen lassen, ggf. auch als Ergänzung zu eigenen Plänen und Unterlagen. Daneben richten sie sich auch an Autodidakten, was ich nach der Gestaltung des Werkes und der schon sehr respektablen Spielstärke der adressierten Spielerinnen und Spieler für sehr nachvollziehbar halte.

Zum thematischen Umfang ihrer Arbeit schreiben die Autoren: "Mit diesem Buchprojekt haben wir die Aufgabe übernommen, das ‚Unzusammenfassbare zusammenzufassen'. Vor allem wollen wir die wichtigsten Themen darstellen, die ein gut ausgebildeter Schachspieler beherrschen sollte." Dass sie damit ein absolutes Schwergewicht in der Literatur zum Positionsspiel erschaffen haben, lässt sich ganz profan auch daraus ablesen, dass es exakt 1750 Gramm auf die Waage bringt.

"Das große Lehrbuch des Positionsspiels" ist in vier Teile mit den Überschriften "Die Eröffnung", "Das Mittelspiel", "Der Bauer ist die Seele des Schachspiels" und "Dynamik" gegliedert. Darauf verteilen sich 88 Kapitel. Eine Abbildung aller Überschriften in dieser Besprechung ist natürlich nicht sinnvoll. Um dennoch zumindest einen Fingerzeig zu geben, was den Leser jeweils erwartet, stelle ich nachstehend je Teil drei Kapitel zusammen, deren Titel als beispielhafte Vertreter besonders aussagekräftig sind. Sie sollen zumindest etwas ermessen lassen, wie breit das Werk thematisch aufgestellt ist.

Teil 1: Die Eröffnung
- Entwicklungsvorsprung
- Das Zentrum und seine Bedeutung
- Unvorbereitete Angriffe

Teil 2: Das Mittelspiel
- Berechnung der Varianten und Methoden der Entscheidungsfindung
- Koordination und Figurenaktivität
- Methoden der Verteidigung

Teil 3: Der Bauer ist die Seele des Schachspiels
- Der Freibauer
- Eine Bauernmajorität/-minorität auf einem Brettabschnitt. Der Minoritätsangriff
- Angriff mit dem Turmbauern

Teil 4: Dynamik
- Linienöffnung
- Untätige Figuren in den Angriff führen
- Ruhige Züge. Prophylaxe mitten im Angriff.

Die Kapitel sind grundsätzlich gleichartig aufgebaut. Zunächst findet der Leser eine Einleitung vor, die eine Beschreibung des behandelten Gegenstandes mit Erfahrungswissen verbindet. So erfährt er nicht nur, worum es im Detail gerade geht, sondern auch etwas zum Auftreten in einer Partie, zu Stellungstypen und mehr. Es ist nicht so, dass die "Basics" des Positionsspiels in der Einleitung ganz außen vor bleiben, sie werden nur nicht weiter ausgeführt. So spricht das Werk beispielsweise von guten und schlechten Läufern sowie von schwachen Feldern und sagt dann, was einen Läufer dem einen oder dem anderen Lager zuordnen lässt bzw. wie sich die Schwäche eines Feldes definiert. Damit sollte dem Leser klar sein, worum es geht. Die Detailkenntnisse sollte er dann parat haben, was angesichts der Ausrichtung des Buches an einer Spielstärke jenseits von 2000 Elo zweifellos völlig angemessen ist.

Der Einführung schließen sich kommentierte Partiefragmente, ausnahmsweise auch ganze Partien an, die das eigentliche Schulungsmaterial ergeben. Ein oder mehrere Sternchen geben einen Hinweis auf den Schwierigkeitsgrad des folgenden Stoffes, immer von einfach bis schwer geordnet.
Der Schachlehrer soll, so empfehlen es die Autoren zu Beginn des Werkes, seinen Schüler immer erst zu einer eigenen Stellungseinschätzung animieren und ihn ausführen lassen, wie die Partie weiter behandelt werden sollte, mit welchem Zug fortgesetzt werden sollte etc. Der Schüler soll sich selbst mit einer Stellung auseinandersetzen und sich so das Gefühl für die angebrachte Behandlung erarbeiten. Dem dient auch der Hinweis, dass die Partien komplett durchgegangen werden sollen, also immer auch die angegebenen Varianten. Diese sind bewusst so weit reduziert, dass sie die generellen Vorgehensweisen verdeutlichen, den Schüler also lernend profitieren lassen. Anders als bei allgemein kommentierten Partien geht es also weniger um die Abbildung alles dessen, was im Verlauf eines Duells schlummerte oder wie alle plausiblen Varianten hätten verlaufen können, sondern immer nur um das Herausfeilen der Aspekte, die ein gutes Beispiel für die richtige Spielführung bilden.

Den Kapitelabschluss bildet fast immer die Zusammenstellung von Ergänzungsmaterial, bestehend aus Partien, die dann aus einer anderen Quelle stammen müssen, regelmäßig aus einer Partiedatenbank.

Das für den Schachlehrer beschriebene Vorgehen empfehlen die Autoren auch dem autodidaktisch lernenden Spieler. Auch er soll sich immer zunächst seine eigenen Gedanken machen, bevor er den Partien und Kommentaren folgt. Ihm fehlen dann allerdings die Rückmeldungen eines Tutors.

Die Autoren legen Wert auf die Feststellung, dass "Das große Lehrbuch des Positionsspiels" durchgearbeitet werden kann, ohne dass die Reihenfolge der Kapitel eingehalten werden muss. Es sollte nur sichergestellt sein, dass alle Stoffgebiete am Ende auch tatsächlich behandelt worden sind und natürlich auch beim selbst bestimmten Weg eine sinnvolle Abfolge eingehalten wird.

Die zur Schulung verwendeten Partien stammen aus fast allen Epochen des Schachspiels. Es sind also sehr alte Schätzchen genauso wie Duelle aus der modernen Turnierpraxis enthalten. Das Alter eines Beispiels spielt bei einem Buch wie diesem keine nachteilige Rolle, eine damit verbundene Skepsis wäre unbegründet. Wenn es schon vor zig Jahren bewiesen hat, dass es gut zur Anleitung taugt, dann wird es diese Eignung auch nicht verloren haben.

Im Rahmen der Einführung geben die Autoren noch allgemeine Empfehlungen zur Anleitung eines Spielers und damit auch zur Selbst-Schulung. Die hier ausgeführten Punkte von Studium der Partien aus Partiesammlungen bis zur Analyse der eigenen Spiele, von Empfehlungen zur Steigerung der Kompetenz im Schach sowie zur Rolle des körperlichen und des psychischen Befindens des Spielers sind genereller Natur und zählen zum Standard von Handbüchern wie diesem.

"Das große Lehrbuch des Positionsspiels" ist dafür bestimmt, intensiv und lange eingesetzt zu werden. Entsprechend robust sollte ein solches Werk beschaffen sein. Die Ausstattung mit Hardcover und eine qualifizierte Buchbindung garantieren dem Leser bei einem pfleglichen Umgang eine lange Freude an diesem Buch.

Auf der Titelseite und dem Buchrücken wird im Titel fehlerhaft "grosse" geschrieben. Den Grund vermag ich nicht zu erkennen. Wenn ich dies hier erwähne, dann nur vor dem Hintergrund, dass dies bei einer Recherche im Internet vielleicht zu anderen Suchergebnissen führen kann.

Fazit: "Das große Lehrbuch des Positionsspiels" ist ein qualifiziertes Schulungs- und Trainingsbuch, das den schon recht spielstarken Schachfreund (ca. 2000 - 2200 Elo) im Auge hat. Es richtet sich an Schachlehrer und Autodidakten und enthält eine umfängliche Darstellung der Elemente des Positionsspiels. Diese vermittelt es in einer Weise, die dem Lernenden ein Verinnerlichen der Methoden erlaubt.
Bei dem Werk handelt es sich um eine sehr begrüßenswerte Übersetzung aus dem Englischen und eine Zusammenfassung von ursprünglich zwei Büchern zu einem.
Ich kann es ohne Einschränkung zum Kauf empfehlen und beziehe dabei den regelfesten Spieler unterhalb der Schwelle von Elo 2000 durchaus mit ein.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Hein Donner, The Biography

Alexander Münninghoff
Hein Donner, The Biography
272 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-892-7
24,95 Euro



Hein Donner, The Biography


"Hein Donner, The Biography", die Biographie über den niederländischen Großmeister und Autor (1927-1988), ist ein Buch für echte Schachenthusiasten, die auch an Schachgeschichte allgemein interessiert sind, sowie für Sammler. Die Allgemeinheit der Schachfreunde dürfte weniger davon angesprochen werden, was allerdings vor dem Hintergrund einer offenkundig ausgezeichneten Recherchearbeit und der damit erreichten inhaltlichen Fülle schade ist. Zugleich hält das Werk Informationen fest, die von Menschen stammen, die Donner nahestanden und sonst irgendwann in Vergessenheit geraten würden.

Johannes Hendrikus Donner, wie der vollständige bürgerliche Name lautete, galt als exzentrischer, als schwieriger Mensch. Aus meiner Jugend habe ich dies auch aus den damaligen Veröffentlichungen in meiner Erinnerung behalten. Als ich das vorliegende Buch für das Anfertigen einer Rezension in die Hände bekam, war dies auch gleich einer meiner ersten Gedanken dazu. Er war als scharfzüngiger sowie offen provozierender Autor bekannt und auch gefürchtet. Als Spieler galt er als talentiert, konnte auch mehrere große Erfolge feiern, schlug auch Weltmeister, um dann in anderen Duellen in bekannten Varianten kurzzügig zu verlieren. Dies wird darauf zurückgeführt, dass er wenig Ehrgeiz entwickelte, viel aus seinem Schachtalent zu machen, und Schach-/Eröffnungsliteratur aus dem Weg ging.

"Hein Donner" ist von Alexander Münninghoff geschrieben worden, einem sehr anerkannten niederländischen Autor. Das Werk ist eine Übersetzung aus dem Niederländischen; das Original ist 1994 erschienen. Diese Neuausgabe ist erweitert und überarbeitet worden. Erschienen ist das Werk 2020 bei New In Chess (NIC). Der Autor ist tragischer Weise im April 2020 verstorben, also unmittelbar vor dem Erscheinen der englischsprachigen Ausgabe.

Das Werk umfasst 272 Seiten. Der Partienteil beginnt mit Seite 233 und enthält insgesamt 34 kommentierte Duelle. Darunter befinden sich auch seine Siege gegen Bobby Fischer 1962 und Bent Larsen 1964. Etwas ungewöhnlich für eine Biographie ist, dass die damit geehrte Person in mehr als der Hälfte der Duelle als Verlierer vom Brett gegangen ist und sich auch eine krachende Niederlage nach 11 Zügen mit einer Mattsetzung darunter befindet. Aber vielleicht trägt auch gerade dieses Detail zum gelungenen Portrait Donners bei. Die Partien sind übrigens für die Neuausgabe mit Stockfish überprüft worden.

Ein paar Einzelheiten aus dem Buch mögen die oben stehende Aussage zur Persönlichkeit Donners konkretisieren.
- Donner mochte keine Urlaubsreisen. Auch wenn die Familie in Urlaub fuhr, blieb er generell zu Hause. Reisen anderer Art aber lehnte er nicht ab.
- Nach Partien konnte er rüde und unverschämt sein (wenn der Gegner mit "meiner Meinung nach" ansetzte, konnte er sich auch schon mal "Ihre Meinung ist nicht wichtig für mich" anhören). Dies brachte ihm unter anderem den Ruf ein, ein "Super-Ego" zu sein.
- Er lehnte es ab, Briefe zu öffnen, was ihm auch schon mal Probleme mit dem Finanzamt einbringen konnte.
- Streitigkeiten und offene Feindschaften trug er auch offen aus, auch im Rahmen seiner publizistischen Tätigkeit.

Die Geschichte Hein Donners ist im Buch eingebettet in die Geschichte seiner Familie bzw. zur Geschichte der "Donners" in den Niederlanden. Der erste Eintrag verbindet sich mit dem Jahr 1776, als ein Vorfahr von Preußen aus einwanderte. In 10 Kapiteln arbeitet sich "Hein Donner" durch den familiären und dann besonders natürlichen persönlichen Werdegang des Großmeisters. Diese Kapitel sind ausschließlich nummeriert, fassen den Inhalt also nicht mit einer charakterisierenden Überschrift zusammen.
Dieser Teil des Werkes ist "schwere Kost". Er ist ausschlaggebend für meine einleitende Einschätzung zum Adressatenkreis. Es gilt sehr viel Text zu verarbeiten, der zudem erhebliche Anforderungen an die englischen Fremdsprachkenntnisse des Lesers stellt. Mir jedenfalls ist es nicht leicht gefallen, den Text kontinuierlich durchzugehen. Der Anteil der Wortbedeutungen, die ich nachschlagen musste, war hoch, insbesondere weil sich diese oft nicht aus dem Zusammenhang erschließen ließen.
Konkret befasst habe ich mich mit insgesamt rund 40 Seiten, was einem Anteil von etwa 20 Prozent entspricht.

Im Anschluss an diese "innere Biographie", im Kapitel 11, enthält das Buch ein Interview mit Harry Mulisch, Donners bestem Freund, 2008 von Dirk Jan ten Geuzendam geführt und zunächst mittels einiger Worte über Mulisch eingeleitet. Es ist interessant zu lesen und zeigt viel von Donners anderer Seite. Er war hochintellektuell, wahrheitsliebend, verlässlich, standhaft und zu einer viele Jahre dauernden engen Freundschaft fähig. Er verlangte auch sich selbst viel ab und mutete seinem Körper einiges zu.

Fazit: "Hein Donner" ist eine "runde", eine gelungene Biographie über einen Spieler und Menschen, der sich auch posthum in keine, seine Freiheit einschränkende Rubrik pressen lässt. Das Werk ist so gemacht, dass es zu Hein Donner passt.
U.a. auch an Schachgeschichte interessierte Anhänger des Spiels wie auch Sammler bilden für mich den inneren Adressatenkreis.
Gute Englischkenntnisse sind von Vorteil.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Universal Chess Training

Wojciech Moranda
Universal Chess Training
352 Seiten, kartoniert
ISBN: 9789492510907
32,95 Euro



Universal Chess Training


In "Universal Chess Training" erzählt der Autor, der polnische GM Wojciech Moranda, zunächst von sich selbst. Er erklärt, dass er den Großmeistertitel mit 21 Jahren erhalten und hart dafür gearbeitet hat. Mehr oder weniger auf sich allein gestellt hat er demnach insbesondere mit Büchern in großer Zahl gearbeitet, zunächst aber mit eher enttäuschenden Fortschritten. Beispielsweise kannte er sich dadurch bestens mit den verschiedensten Bauernstrukturen aus, um sich in einer Partie dann aber doch wieder verloren vorzukommen, sobald diese von den studierten und exakt eingeprägten Beispielen abwichen.
Mit dieser Beschreibung seiner Erfahrung dürfte Moranda vielen Spielern aus dem Munde sprechen. Fortschritte konnte er für sich erst erzielen, als er seine Methodik änderte, insbesondere das Training daraufhin abstellte, was der Spieler in den allermeisten seiner Partien aus einem eigenen Verständnis heraus zu meistern hat. Diese Entwicklung hat Moranda nicht nur zu einem erfolgreichen Spieler gemacht. Heute ist Moranda ein vielbeschäftigter und erfolgreicher Trainer, auch betreibt er eine Schachschule.

Er ordnet die am häufigsten auftretenden Situationen den folgenden Fähigkeiten und insbesondere damit verbundenen Fragestellungen zu:
1. Antizipation & Prophylaxe: Dabei geht es um den Blick in die Zukunft. Welche Konsequenzen werden die eigenen Aktionen haben, was will mein Gegner machen?
2. Verteidigung & Angriff: In welchem Rahmen ist das Verhältnis von Angriff und Verteidigung (noch) gesund? Wie beziehe ich möglichst viele Kräfte in den Angriff ein und wie hindere ich meinen Gegner daran, genau dies zu schaffen?
3. Koordination: Wie verschaffe ich meinen Kräften eine möglichst große Wirkung, erkennbar an ihren Möglichkeiten? Wie handele ich dem Prinzip gerecht, immer dann die Position der aktuell schwächsten Figur zu verbessern, wenn ich gerade Zeit dafür habe? Wie kann ich den Gegner in seiner Koordination stören?
4. Statik & Dynamik: Wie bewerte ich die statische und dynamische Situation? Wie erkenne ich, ob ich einen statischen Vorteil zum Erfolg nutzen kann oder dynamische Veränderungen brauche? Wie setze ich dies um? Wie kann ich eine strategisch vorteilhafte Stellung des Gegners destabilisieren? Wie kann ich die gegnerische Aktivität mindern, wenn ich dynamisch unter Druck gerate?
5. Schwächen: Wie erkenne und bewerte ich Schwächen in ihrer Bedeutung, um zu einer guten Entscheidung zu kommen, ob und wie sie zu verteidigen sind? Wie kann ich nach dem Sprichwort "erkennst du eine Schwäche, hast du einen Plan" handeln, auch im Angriff?

Vor diesem Hintergrund lässt sich auch der Buchtitel erklären. "Universal Chess Training" bedeutet, dass der Leser mit diesem Buch an sich arbeitet, um universell mit den sich am häufigsten in der Praxis auftretenden Bewertungs- und Entscheidungssituationen umgehen zu können. Es geht nicht um das Training einzelner Elemente des Schachspiels, wie man es von Lehrbüchern zur Strategie und zur Taktik im Schach kennt. Die Kenntnis dieser Elemente wird vom Autor vorausgesetzt. Auch ist "universell" nicht so zu interpretieren, dass sich das Training gezielt auf alle Phasen der Partie bezieht. Es handelt sich vielmehr um ein Training, das besonders das universelle Führen des Mittelspiels unterstützt, teilweise im Bereich des Übergangs zum Endspiel.
Genau genommen ist "Universal Chess Training" Anleitung und Beispiel dafür, wie der Spieler sein Knowhow planvoll und sachgerecht in der Partie anwendet, seine PS also auf die Kette bringt.

Mit seiner Arbeit will Moranda Spieler im Leistungsbereich von Elo 1600 bis Elo 2500 erreichen. Folgerichtig hat er das Buch entsprechend gegliedert. Es enthält drei Kapitel, jeweils für die Leistungsbereiche 1600-1900, 1900-2200 und im Anschluss darüber. Die Kapitelüberschriften sollten dabei nicht allzu ernst interpretiert werden. Sonst hätte mich schon das 1. Kapitel frustriert (sinngemäß übersetzt: "Das löst jeder russische Schuljunge."). Die Überschrift des 3. Kapitels (sinngemäß übersetzt: "Bei diesen Aufgaben weinten selbst Großmeister") versinnbildlich, wie hoch die Latte für die korrekte Lösung gelegt ist.

Jedes Kapitel beginnt mit je 30 Diagrammen mit Stellungen aus jeweils einer praktischen Partie. Der Leser erfährt nur, wer die beteiligten Spieler waren, in welcher Veranstaltung und wann die Partie ausgetragen worden ist, welche Zugnummer zur fraglichen Stellung erreicht worden ist und natürlich welche Seite am Zug ist. Zumeist geht es um eine tatsächlich erreichte Stellung, ausnahmsweise auch um eine Analysestellung auf der Basis einer Partie. Hervorzuheben ist, dass Moranda ausschließlich ganz aktuelles Material verwendet hat (aus den Jahren 2018 und 2019). Es ist deshalb kaum anzunehmen, dass der Leser bereits in anderen Werken mit Aufgabenstellungen auf einzelne Buchbeispiele gestoßen ist.

Erwartet wird, dass der Leser sich umfassend in die Partiestellung einarbeitet, den Initialzug findet und darauf basierend die Lösung anfertigt (im Idealfall aus der kompletten gesuchten Variante und den wichtigsten Abzweigungen bestehend).
Ich habe dabei die folgende Erfahrung gemacht: Ganz im Sinne des Autors und mit jenen des ersten Kapitels beginnend habe ich einige Aufgaben gelöst. Dies ist mir nicht zu meiner Zufriedenheit gelungen. In der Mehrzahl der Fälle habe ich nicht den Zug gefunden, der vom Autor erwartet worden ist und vermutlich auch der Beste sein dürfte. Allerdings waren meine Züge regelmäßig auch nicht schlecht, was ich mir auch von Stockfish bestätigen lassen habe. Die zu findende Lösung ist also oft nicht zwingend alternativlos in dem Sinne, dass alles andere in einen erheblichen Nachteile oder eine Niederlage führt; bisweilen kann der vom Autor erwartete Zug auch noch zeitversetzt ausgeführt werden.
Demgegenüber habe ich selten in einem Buch so gut ausgearbeitete Lösungen wie hier gesehen. Diese bietet das Werk jeweils innerhalb des Kapitels im Anschluss an die Aufgabenstellungen an. Moranda nimmt jeweils zunächst eine Bestandsaufnahme vor und arbeitet so auf eine sehr verständliche Weise die Charakteristika der Stellung heraus. Als Leser hat man beinahe den Eindruck, als werde man gerade Zeuge des Denkprozesses und als könne man quasi einzelne Gedanken lesen. Oder auch anders ausgedrückt: Man erlebt ein Déjà-vu, indem man das Muster der eigenen Gedanken während einer Partie erkennt, auf jeden Fall aber in einer sehr qualifizierten Ausprägung.
Die Ausarbeitung greift quasi auf das komplette Rüstzeug zurück, über das der Spieler zur Strategie und zur Taktik verfügen sollte. Sie verwebt die verschiedenen Elemente so miteinander, dass die Anforderungen je nach Stellung zu den o.g. häufigsten Problemstellungen Antizipation & Prophylaxe, Verteidigung & Angriff, Koordination, Statik & Dynamik und das Schwächen-Management optimal und damit Beispiel gebend erfüllt werden.

Ich war gezwungen, die Rezension über einen längeren Zeitraum hinweg vorzubereiten. Dies hatte zur Folge, dass die Bearbeitung mehrerer Aufgaben schon länger zurück lag, als ich sie abzuschließen begann. Der Initialzug mehrerer Lösungen war mir noch erinnerlich. Schon gleich im Anschluss daran aber konnte ich prüfen, wieviel vom Rest ich noch eigenverständlich erarbeiten konnte. In den übrigen Fällen musste ich auch schon wegen des ersten Zuges grübeln.
Vor diesem Hintergrund empfehle ich dem Leser darüber nachzudenken, sich "Universal Chess Training" mit einem alternativen Vorgehen zunutze zu machen. Er könnte auch an den Aufgaben vorbei einfach mit den Lösungen beginnen und diese intensiv durcharbeiten, vielleicht nur eine oder zwei am Tag. Jede Lösung besteht ohnehin zu Beginn aus dem Ausgangsdiagramm, über das auch die Aufgabe gestellt worden ist. Nach dem Durcharbeiten des Buches oder vielleicht auch eines Kapitels könnte er sich die Aufgaben vornehmen. Dieses Vorgehen entspräche dem Prinzip: erst lernen und verstehen, dann testen und selbst erarbeiten.

Wie auch immer der Leser vorzugehen bevorzugt: Mittels "Universal Chess Training" erhält er die Chance, angeleitet die Verbindung seines erarbeiteten Wissens und dessen Anwendung in seiner praktischen Partie zu fördern. Es wird ihm gelingen oder leichter fallen, seine Partie stellungsgerecht und planvoll zu führen und die Situation, sich trotz seines theoretischen Knowhows im Spiel verloren zu fühlen, so nicht mehr zu erleben.
Mit "Universal Chess Training" setzt Wojciech Moranda eine mich überzeugende Idee für sein Werk nicht minder überzeugend um.

Der verwendete Wortschatz ist nicht gerade schmal, so dass der Leser, dessen englische Fremdsprachkenntnisse weniger ausgeprägt sind, einige Begriffe wird nachschauen müssen. Es muss dabei einiges an Text verarbeitet werden. Diese Mühe lohnt sich aber.

Nur eine kleine Randbemerkung: Bis zum 1. Kapitel sind die Seiten nicht durchnummeriert, zählen aber bei der Gesamtseitenzahl mit. Vermutlich liegt dies an einem Versehen, das aber die Arbeit mit dem Buch so gut wie nicht beeinträchtigt.
Erschienen ist das Werk 2020 bei Thinkers Publishing aus Belgien.

Fazit: "Universal Chess Training" ist eine in meinen Augen sehr gelungene Anleitung und Trainingsgrundlage. Das Buch unterstützt den Leser dabei, in seiner Partie das Wissen zur Strategie und zur Taktik konkret qualifiziert einzusetzen. Dabei deckt der Autor die Aufgabenfelder in der Spielführung ab, die am häufigsten über den Ausgang des Spiels entscheiden.
Ich kann das Werk jedem Spieler im vom Autor angegebenen Leistungsspektrum ab Elo 1600 und über 2200 hinaus empfehlen.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Spielertypen: Ihre Stärken und Schwächen

Karsten Müller & Luis Engel
Spielertypen: Ihre Stärken und Schwächen
244 Seiten, Hardcover
ISBN: 978-3-95920-129-2
27,80 Euro



Spielertypen: Ihre Stärken und Schwächen


Die beiden Großmeister Karsten Müller und Luis Engel sind die Autoren eines interessanten Werkes, das 2020 vom Joachim Beyer Verlag in den Markt gegeben worden ist: "Spielertypen: Ihre Stärken und Schwächen". Auf diesen Titel lautet der Eintrag in der Deutschen Nationalbibliothek. Auf den ersten Buchseiten ist auch der Titel "Spielertypen im Schach" zu finden, der demnach das Werk aber nicht "offiziell" bezeichnet.

In der Einleitung geben die Autoren bekannt, dass die Darstellung der "Spielertypen" auf einem Buch von Lars Bo Hansen basiert ("Foundations of Chess Strategy", Gambit 2005), das mir inhaltlich nicht bekannt ist. Hansen soll darin ein Modell aus der Wirtschaftstheorie auf Schachspieler übertragen haben.

Im Kern geht es darum, Spieler nach dem für Sie typischen Spiel verschiedenen Typen zuzuordnen und daraus Stärken und Schwächen sowie Vorlieben und Abneigungen für bestimmte Arten von Stellungen und damit beispielsweise auch Eröffnungen abzuleiten. In der Vorbereitung auf einen Gegner sollen die Ergebnisse von Nutzen sein, indem man dessen Stärken möglichst nicht zur Entfaltung kommen lässt und Situationen herbeiführt, die dessen Schwächen sich auswirken lassen. Daneben soll der Leser auch zur Selbsterkenntnis unterstützt werden, damit er seine Stärken besser erkennt und darauf hinarbeitet, diese in seiner Praxis gezielter einsetzen zu können, sowie damit er an seinen Schwächen arbeiten kann.

Müller und Engel unterscheiden in Aktivspieler, Theoretiker, Reflektoren und Pragmatiker. Allerdings soll dies nicht als "Kästchendenken" missverstanden werden, sondern eher Tendenzen anzeigen. Kein Spieler ist nur dem einen oder anderen Typus zuzuordnen. So kann beispielsweise ein Spieler, der in seinem Stil eher als Pragmatiker anzusehen ist, in einem Duell plötzlich auch mal so auftreten, wie dies einem Aktivspieler oder sogar einem Hyperaktivspieler zugerechnet wird.

Was macht einen Spieler beispielsweise zu einem Aktivspieler? Dazu zählen seine Eigenart bzw. Auffassung, Initiative und Angriffschancen relativ hoch und das Material eher niedriger zu bewerten. Dazu zählen aber auch ein tendenziell gutes Gespür für Initiative und Dynamik und seine recht hohe Bereitschaft, statische Schwächen in Kauf zu nehmen. Aktivspieler sind regelmäßig gut in der Variantenberechnung mit einer intuitiven Abschätzung.
Und zu welchen Schwächen neigt er? Eine überzogene Risikobereitschaft, eine manchmal klar zu optimistische Einschätzung einer Angriffsmöglichkeit gehören nach den Autoren in die Aufzählung.

Aus diesen Erkenntnissen lässt sich Nutzen im Rahmen der Vorbereitung auf einen Gegner ziehen, z.B. durch die Wahl der Eröffnung oder durch das Anstreben von Stellungen, die wenig Gelegenheit für dynamische Abläufe bieten. Das eigene Training kann man darauf ausrichten, für sich selbst erkannte Schwächen zu verringern.

Nicht identisch, aber in ähnlicher Weise arbeiten die Autoren auch für die drei weiteren Spielertypen die prägenden Stärken bzw. Eigenschaften und auch Schwächen heraus.

Für die 4 Spielertypen geben die Autoren auch etliche Beispiele aus dem heutigen und früheren Spitzenschach an. Aktivspieler sind beispielsweise Tal und Kasparow, Theoretiker sind u.a. Botwinnik, Kramnik, Nimzowitsch, Reflektoren sind beispielsweise Karpow und Carlsen sowie Pragmatiker Fischer, Euwe und Lasker.

Interessant ist, dass die beiden Autoren sich natürlich auch selbst einem Spielertypus zuordnen müssen und dies auch tatsächlich tun. Müller ist demnach ein Aktivspieler und Engel ein Pragmatiker. Dass sie auch die Denkweisen der beiden weiteren Typen vertreten können, hoffen sie und bestätigen dies m.E. auch.

"Spielertypen: Ihre Stärken und Schwächen" ist nicht etwa ein reines Lesebuch, was die Rezension bis hier andeuten könnte. Vielmehr nehmen die entsprechend kommentierten Fragmente aus Beispielpartien einen weiten Raum ein. Diese ausgewählten Auszüge veranschaulichen das, was zuvor im Text zum Typus beschrieben worden ist, bzw. bestätigen die Zuordnung.

Zahlreiche Aufgaben in den einzelnen Kapiteln, die jeweils über ein Diagramm zur Ausgangsstellung und der Formulierung einer konkreten Erwartung gestellt werden, fordern den Leser zur Lösung heraus. Diese sind natürlich thematisch zugeordnet, aber nicht zwingend davon geprägt, nun ein ganz bestimmtes Merkmal des jeweiligen Spielertypus zu demonstrieren. Sie könnten also auch gut und ohne Umgestaltung in einem anderen Buch verwendet werden, beispielsweise zur Taktik im Schach oder eben in einem Sammelwerk für Schachaufgaben.
Die Lösungen sind en bloc an späterer Stelle abgebildet. Sie sind ausführlich, ohne eine unmittelbare Anknüpfung zum Spielertyp. Dies macht auch durchaus Sinn. Wenn beispielsweise der Pragmatiker eine überraschende Ressource findet, so hat er natürlich kein alleiniges Anrecht auf einen solchen Kniff. So ist dies auch einem Aktivspieler möglich, nur lässt er dies vielleicht etwas weniger sicher erwarten als eben der Pragmatiker.

"Spielertypen: Ihre Stärken und Schwächen" ist ein gelungenes Werk zum Studium. Seinen Wert als Trainingsmittel sowie zur Vorbereitung auf Gegner und zur Selbsterkenntnis stellt auch Vincent Keymer in seinem Vorwort heraus. Daneben ist es ausgesprochen unterhaltsam.

Das Buch wird in einer gebundenen Fassung mit Hardcover und einem Lesebändchen ausgeliefert. Diese Qualität ist in meinen Augen vorbildlich.

Fazit: "Spielertypen: Ihre Stärken und Schwächen" ist eine echte Bereicherung der Schachliteratur.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schachversand Ullrich (www.schachversand-ullrich.de) zur Verfügung gestellt.

Playing the Stonewall Dutch

Nikola Sedlak
Playing the Stonewall Dutch
323 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-78483-109-7
19,95 Euro



Playing the Stonewall Dutch


In "Playing the Stonewall Dutch" aus der Feder des serbischen Großmeisters Nikola Sedlak, 2020 erschienen bei Quality Chess, bietet der Autor dem Leser ein Repertoire an, dessen Kristallisationspunkt auf den weißen Anzug mit 1.d4 die Holländische Verteidigung mit der schwarzen Bauernformation d5, e6 und f5, möglichst ergänzt um c6, ist. Schwarz baut seine "Steinmauer", den "Stonewall", auf, um das Zentrum möglichst solide geschlossen zu halten und das Spiel auf die Flügel zu drängen. Sein pfiffiger Ansatz ist dabei, den weißen Anfangszug nicht gleich mit 1…f5 zu beantworten, womit der Schritt in die Holländische Verteidigung mit der möglichen Fortsetzung in die Stonewall-Variante vollzogen wäre. Er geht vielmehr über 1…e6, um verschiedenen gegnerischen Möglichkeiten gleich zu begegnen, so etwa 2.Lg5. Allerdings kann Weiß den Vorstellungen seines Gegners ein Schnippchen schlagen, indem er nicht 2.c4 folgen lässt, was 2…f5 zur Folge hätte, sondern 2.e4. Plötzlich also läuft die Partie in die Französische Verteidigung.
Wer Sedlaks Ansatz folgen möchte, sollte also grundsätzlich bereit sein, die Französische Verteidigung zu spielen. Entsprechend ist "Playing the Stonewall Dutch" ein Angebot ganz besonders auch an den Schachfreund, dessen Repertoire bereits die Französische Verteidigung umfasst bzw. der sie darin aufzunehmen beabsichtigt.
Das Werk bietet auch Anleitung für die Zugfolge 1.d4 f5 an, allerdings in einer recht schmalen Form.

Das neue Werk zählt zu jenen Eröffnungsbüchern, die der Leser tatsächlich mit der Einleitung beginnend studieren sollte. Diese enthält auf 14 Seiten viele wichtige Grundinformationen, die zu einem abgerundeten Verständnis über das System in meinen Augen zwingend erforderlich sind, insbesondere auch strategischer Natur. Zugleich erfährt der Leser, wie das Material in den anschließenden Kapiteln gegliedert ist. Die Kapitel 1 bis 10 widmen sich der Vorstellung und der Erörterung des Repertoires, das Kapitel 11 hält 7 Übungsaufgaben und die Lösungen darauf bereit.

Sedlak bedient sich einer Mischung aus Variantenbaum und vollständigen Partien, um das Material zu behandeln. Die Partien sind quasi mit dem Variantenbaum verwoben; manche Möglichkeiten stellt Sedlak anhand von (Theorie-)Varianten vor, andere über eben Beispiele aus der Praxis. Diese sind damit mehr als "nur" Beispielpartien, sondern dienen der umfassenden Präsentation des Stoffes. Zugleich veranschaulichen Sie natürlich auch den Praxiseinsatz. Sie werden bis zum Ende geführt, so dass sie auch Beispiel geben für das, was jenseits der Eröffnungsphase passiert. Der Leser erkennt somit typische Strukturen, die aus der Eröffnung resultieren und die Möglichkeiten im Mittelspiel bis ggf. ins Endspiel hinein prägen können.
Eine Übersichtsseite zu jedem Kapitel zeigt dem Leser anhand eines Variantenverzeichnisses die stoffliche Gliederung auf. Die eingesetzten Partien werden mit ihrer fortlaufenden Nummer angegeben.

In einer abschließenden Zusammenfassung hält Sedlak die wesentlichen Inhalte und Erkenntnisse des jeweiligen Kapitels fest. Hier lässt er auch eigene Einschätzungen einfließen, z.B. zur Bedeutung einer Variante oder zur Zugfolge.

Inhaltlich hervorzuheben ist m.E. das Kapitel 8, das er mit "The Aggressive Stonewall" überschrieben hat. Im Kern geht es dabei um eine Variante, die bisher kaum in der Praxis angewendet worden ist. Schwarz spielt nach den einführenden Zügen 1.d4 e6 2.c4 f5 3.g3 Sf6 4.Lg2 d5 5.Sf3 Le7 6.0-0 mit 6…Se4 weiter. Es gibt nur wenige Beispiele aus der Praxis dazu. Und diese stammen im herkömmlichen Turnierschach am häufigsten aus Partien von Richard und Jovana Rapport. Im Fernschach gibt es nur knapp mehr als eine Hand voll an Beispielen. Mindestens für das Duell im Nah- bzw. Brettschach bietet der von Sedlak ausgearbeitete Stoff genügend Gelegenheit, um den Gegner zu überraschen und ihn am Brett Lösungen finden zu lassen, auf die der Leser bereits vorbereitet ist.

Sedlak erklärt und erläutert sehr intensiv. Entsprechend dominiert Text eindeutig gegenüber Varianten. Lange Variantenketten fehlen im Werk beinahe gänzlich. Wer eine gut sortierte Partiendatenbank hat, braucht sie ohnehin hin. Der Leser soll das Repertoire verstehen und in seinen Nuancen verinnerlichen, nicht die Zugfolgen auswendig lernen.

Auf den letzten Seiten des Werkes findet der Leser ein ausführliches Variantenverzeichnis, das ihm ein bequemes Navigieren über alle Inhalte hinweg erlaubt und mit den Verzeichnissen zu Beginn der Kapitel verbunden ist.
Ebenfalls in diesem Bereich abgebildet ist ein Verzeichnis der 34 aufgenommenen Partien. Einige Male ist der Autor als Spieler darin vertreten, da er das im Buch vorgestellte Repertoire auch selbst anwendet. 4 Partien stammen aus dem Fernschachbereich.

Es ist einiges an englischsprachigem Text zu verstehen. Deshalb sind geübte Fremdsprachkenntnisse für ein bequemes Arbeiten mit dem Werk von Vorteil. Der verwendete Wortschatz stellt allerdings kaum besondere Anforderungen.

Fazit: "Playing the Stonewall Dutch" bietet dem Leser ein Repertoire an und führt ihn intensiv darin ein, das sich im Kern auf den Stonewall-Aufbau der Holländischen Verteidigung stützt. Wer dem Weg des Autors folgt, sollte auch bereit sein, ggf. auf Veranlassung seines Gegners die Französische Verteidigung zu spielen. Im Kapitel 8 findet er ausführliche Informationen über eine Variante, die bisher selten gespielt worden ist, solide Chancen verspricht und mit einem Überraschungspotenzial für den Gegner verbunden ist.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Boris Spasski - Der Leningrad Cowboy

Ulrich Geilmann/Fränk Stiefel/Manfred Herbold
Boris Spasski - Der Leningrad Cowboy
339 Seiten, Hardcover
ISBN: 978-3-9819849-3-4
29,80 Euro



Boris Spasski - Der Leningrad Cowboy


Als ich vorab gefragt wurde, ob ich bereit sei, über dieses vor der Veröffentlichung stehende Buch eine Rezension zu schreiben, musste ich nicht lange überlegen und willigte sofort ein. Ich habe mich in der Folge auf das zu erwartende Werk gefreut, denn eine Biographie über den 10. Weltmeister und dann auch noch in Deutsch konnte ein Leckerbissen unter den Schachbüchern sein. Zudem durfte ich Boris Spasski in jungen Jahren im Rahmen eines Simultanauftritts persönlich kennen lernen. Auf dem Brett habe ich ihn als Tiger kennen gelernt, als er meinen Sizilianisch-Aufbau mühelos zusammenschob. Besonders beeindruckt aber hat er mich mit seiner freundlichen und ruhigen Art. Der Mann ruhte in sich selbst. Fast schon schien er für meinen Wunsch, auf dem Partieformular zu unterschreiben, dankbar zu sein. Meine Erwartungshaltung mit Blick auf die Neuerscheinung war entsprechend hoch; wenn es eine deutschsprachige Biographie über Boris Spasski geben sollte, dann musste sie etwas ganz Besonderes sein, um neben allen angebotenen Informationen diesen Mann auch angemessen zu ehren.

Als ich "Boris Spasski - Der Leningrad Cowboy" dann endlich auspacken durfte, war schon mein erster Eindruck sehr gut. Das Cover zeigt den Meister in einer großformatigen "karikierten" Porträtzeichnung aus der Feder von Fränk Stiefel und mit einem gutmütigen, freundlichen und humorvollen Gesichtsausdruck. Gewissermaßen nimmt dieses Bild schon viel von dem vorweg, was das Werk im weiteren Verlauf als Charakter Spasskis herausarbeitet. Das Buch hat einen festen Einband aus Hartkarton und ist auch hierfür hervorzuheben.
"Boris Spasski - Der Leningrad Cowboy" ist aus einer Art optimistischem Blickwinkel geschrieben, humorvoll und von mir als "Gute-Laune-Buch" empfunden.
Fotos fehlen gänzlich, was die Autoren mit Fragen zum Urheberrecht bzw. damit verbundenen Unsicherheiten begründen. Mir fehlen die sonst üblichen Schwarz-Weiß-Bilder in zumeist dürftiger Qualität mit oft mehr oder weniger ernst bis grimmig dreinschauenden Personen überhaupt nicht. Alles "fürs Auge" stammt von Fränk Stiefel. Seine Zeichnungen sind immer ein Hingucker und in meinen Augen allemal so wertvoll für eine Biographie wie ein paar Fotos. Er hat sich Personen, Boris Spasski und andere, vorgenommen und sie in die Richtung bestimmter Eigenschaften karikiert oder auch Szenen aus dem Text in ähnlicher Weise festgehalten. Sehr schön ist bereits eine frühe Grafik, die zwei der Autoren zeigt, die gerade eine Spasski-Büste polieren. Sie versinnbildlicht quasi das, was die Autoren mit ihrer Arbeit insgesamt erreichen wollen und ganz ohne Zweifel auch tatsächlich erreichen.

"Boris Spasski - Der Leningrad Cowboy" wird als Gemeinschaftswerk von Ulrich Geilmann, Fränk Stiefel und Manfred Herbold ausgewiesen. Geilmann, u.a. Vizepräsident der Schach-Bundesliga und bereits mehrfacher Buchautor, hatte demnach bereits einiges zum Manuskript zusammengetragen und eine Sammlung von Spasski-Partien anzulegen begonnen, als bei einem persönlichen Treffen mit Stiefel herauskam, dass auch er sich mit solchen Gedanken beschäftigte, woraufhin sie gemeinsame Sache zu machen beschlossen. Herbold stieß im Anschluss dazu und übernahm die Aufgabe, Partie-Kommentare zu ergänzen.
Die Partiensammlung übrigens kommt jedem Käufer des Werkes zugute. Sie umfasst rund 2300 Partien und liegt den Buchexemplaren als CD bei.

Zum Inhalt:
"Boris Spasski - Der Leningrad Cowboy" enthält insgesamt 16 Kapitel. Zehn davon, die Kapitel 1 bis 9 sowie Kapitel 11, möchte ich als typisch für Biographien bezeichnen. Sie beginnen quasi mit Spasskis Geburt, seiner Kind- und Jugendzeit und enden mit seinem Rückzug vom Profischach. Zunächst wird die Etappe im Leben bzw. in seiner Karriere in einem Text aufgearbeitet und im Anschluss mit Partien aus der Epoche unterfüttert. Diese beschränken sich dann nicht nur auf das Geschehen auf dem Brett, sondern ergänzen nicht selten die biographischen Vorinformationen. Die Partien sind so kommentiert, dass sie sowohl die wesentlichen Aspekte des Kampfverlaufs aufzeigen als auch den Leser unterhalten. Eingang gefunden haben auch Original-Kommentare des 10. Weltmeisters bzw. auch anderer Schachgrößen, z.B. Bobby Fischer.
Man sollte meinen, dass besonders wichtige Partien aus Spasskis Karriere bereits so weit untersucht und analysiert sein sollten, dass eine Biographie aus 2021 nichts Neues mehr würde beisteuern können. Diese Annahme ist aber ist unzutreffend, es gibt alles andere als nur "neuen Wein in alten Schläuchen".

Das Kapitel 10 ("Kampf der Geschlechter") widmet sich dem Wettkampf Spasski gegen Judit Polgar 1993. Kapitel 12 enthält Auszüge aus Interviews, Kapitel 13 Statements des 10. Weltmeisters über andere Schachgrößen wie Bobby Fischer, Paul Keres und weitere (höchstrangige) Spieler, über die WM-Kämpfe Kasparow gegen Karpov, über Schach in der ehemaligen UdSSR und mehr.

Kapitel 14 enthält eine Besonderheit - Gastbeiträge anderer Autoren. Bernd Schneider, selbst IM, Verfasser des Vorwortes, antiquarischer Schachbuchhändler und Mannschafts-Weggefährte Boris Spasskis, bringt Erfahrungen mit dem Porträtierten aus erster Hand ein. Ähnliches gilt für Hans-Walter Schmitt, Schachorganisator und Kopf hinter den "Chess-Tigers", sowie FM Dirk Paulsen. Martin Hahn stellt einen Brückenschlag zwischen Schach und Tennis her, das für Spasski ebenfalls den Rang einer Herzensangelegenheit einnahm. Den Abschluss bildet IM Herbert Bastian, der mehrere Spasski-Partien neu unter die Lupe genommen hat.
Das Kapitel 14 ist nicht der einzige Ort, an dem weitere Personen zu Wort kommen. Im Kapitel 7 ("Der Neustart") bilden die Autoren Auszüge eines Interviews mit Vlastimil Hort auf dem Podcast "Schachgeflüster" von Matthias Buse ab. Hort stand im Viertelfinale des Kandidatenmatches 1977 gegen Spasski vor der Frage, ob er wegen einer Erkrankung seines Gegners seine Qualifikation für die nächste Runde einfordern sollte. Er tat dies nicht, wurde dann aber selbst krank und verpasste letztendlich die erhoffte Qualifikation. "Boris Spasski - Der Leningrad Cowboy" sorgt dafür, dass die Informationen über diesen Vorgang einer breiteren Leserschaft zugeführt werden.

Kapitel 15 stellt dem Leser 64 Kombinationsaufgaben aus der Praxis des 10. Weltmeisters, Kapitel 16 gibt die Lösungen darauf.

Ich habe "Boris Spasski - Der Leningrad Cowboy" komplett durchgelesen. Dies gilt auch für alle Partiekommentare. Und ich habe diese "Arbeit" genossen. Das Werk ist eine sehr gut gelungene, eine "vollständige" Biographie, eine ausgezeichnete Mischung aus Text und Partien. Es enthält eine Fülle an Informationen, von denen mir etliche vorher nicht bekannt war. Die Bibliografie, die neben deutsch- auch englischsprachige Quellen umfasst, im Bereich der abschließenden Buchseiten lässt den Rechercheaufwand nur erahnen, der hinter diesem Buch steht. Es ist genau die biographische Ehrung des 10. Weltmeisters, die ihm gebührt.

Es gibt eigentlich nur einen einzigen Punkt, den ich kritisieren möchte. Dies ist der Untertitel "Der Leningrad Cowboy". Natürlich haben die Autoren ihren Grund für diese Wahl, und dieser ist mir auch bekannt (er steht im Zusammenhang mit der finnischen Band "Leningrad Cowboys"). So ganz überzeugen kann er mich nicht. Ein Cowboy steht für mich für einen hemdsärmeligen Draufgänger, der dem Gegenüber gerne auch eine Kugel verpasst, wenn es zu Differenzen kommt. Mit diesem Charakter aber hat Boris Spasski kaum etwas gemein, was auch das vorliegende Werk bestätigt. Und zudem: Der Name Leningrad für seine Geburtsstadt gefällt Spasski überhaupt nicht, was er auch in den Auszügen der mit ihm durchgeführten Interviews bestätigt. So wäre es eine gute Idee gewesen, dieses Werturteil des früheren Weltmeisters zu respektieren und den Buchtitel entsprechend anders zu gestalten.

Fazit: "Boris Spasski - Der Leningrad Cowboy" ist eine sehr gut gelungene Biographie über Boris Spasski. Es gibt nichts Vergleichbares, schon gar nicht auf dem Schachbuchmarkt in deutscher Sprache. Ergänzend erhält der Käufer eine CD mit rund 2300 Partien des 10. Weltmeisters. Jedem, der eine anspruchsvolle Biographie über Boris Spasski sucht, garantiere ich, dass er nicht enttäuscht sein wird. Wenn ich die Kandidaten für die Nominierung der deutschsprachigen Neuerscheinungen zum Schachbuch-Award 2021 vorschlagen dürfte, würde dieses Werk zum engsten Kreis gehören.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise vom Maya & Paul-Verlag zur Verfügung gestellt.

The Modernized Anti-Sicilians, Volume 1 – Rossolimo Variation

Ravi Haria
The Modernized Anti-Sicilians, Volume 1 – Rossolimo Variation
520 Seiten, kartoniert
9789464201055
25,50 Euro

 

Mit der 2021er Neuerscheinung „The Modernized Anti-Sicilians, Volume 1 – Rossolimo Variation“ hat das belgische Verlagshaus Thinkers Publishing ein Werk in den Markt gegeben, das sowohl eine tiefe Einarbeitung in die Theorie der mit 1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 eingeleiteten Rossolimo-Variante als auch eine gezielte Auffrischung und Erweiterung eines persönlichen Repertoires erlaubt. Mit Ravi Haria hat es einen der jüngsten englischen Internationalen Meister zum Autor, U21-Meister auf der Insel.

Mit Volume 2 ist ein Schwesternwerk geplant, das sich dann weiteren Anti-Sizilianischen Spielweisen, bei denen Weiß auf 3.d4 verzichtet, geplant.

 

Das 520 Seiten starke Werk ist in fünf Teile gegliedert, die insgesamt 20 Kapitel enthalten. Nach den in Teil 1 behandelten Nebenlinien und der Theorie zu 3…Sf6 in Teil 2 findet der Leser die schwarzen Hauptsysteme nach 3…d6, 3…e6 und 3…g6 in den Kapiteln 3 bis 5. Mit rund 175 Seiten nimmt die Theorie zu 3…g6 den größten Platz in Anspruch.

 

„Rossolimo Variation“ folgt der für die Thinkers Publishing-Bücher zur Eröffnungstheorie typischen Struktur. Die Kapitel werden über ein Deckblatt eingeführt, das die Initialzugfolge angibt und deren Schlussstellung als Diagramm anzeigt. Auf der Rückseite findet der Leser die Variantenübersicht zum Kapitel.

Die Darstellung der Theorie folgt der klassischen Baumstruktur aus Haupt- und Nebenvarianten. Vollständige Partien enthält das Buch nicht, also auch nicht zur Vertiefung der Erörterungen anhand des Praxiseinsatzes. Sie hätten allerdings den Umfang des Werkes gesprengt.

Bei seiner Arbeit mit „Rossolimo Variation“ wird der Leser durch die hervorzuhebende Übersichtlichkeit des Stoffes unterstützt. Haupt- und Nebenlinien sind durch großzügige Absätze getrennt. Nebenvarianten unterschiedlicher Ordnung setzen sich durch die Textfarbe voneinander ab. Es gibt zahlreiche Diagramme, die für eine Visualisierung an hervorzuhebenden Stellen sorgen. Diagramme in Nebenvarianten sind kleiner als jene in Hauptvarianten, sind also auf den ersten Blick entsprechend zu erkennen.

 

Haria gibt sich sehr viel Mühe, den Leser die Theorie zur Rossolimo-Variante verstehen zu lassen. Dabei wird er nicht müde, Pläne und Teilpläne detailliert zu erläutern.

Seine Repertoireempfehlungen richtet er dominierend daran aus, eine möglichst schnelle Entwicklung und ein aktives Spiel zu erreichen, wobei den gegnerischen Grundideen wenig Entfaltungsmöglichkeit gegeben werden soll. Auch wenn er sehr viele im Fernschach ausgetragene Partien im Stoff nutzt, steht der Einsatz der Eröffnung im herkömmlichen Turnierspiel bei ihm im Vordergrund. Dies lässt sich auch daran erkennen, dass er bisweilen Fernschachvarianten angibt, diese aber verwirft, z.B. weil er ihre Anwendung in der Partie am Brett für zu gefährlich hält.

Das deutsche Fernschachspiel ist mit zahlreichen Spielernamen vertreten.

 

Indem sich Haria sehr auch des modernen Fernschachspiels als Quelle bedient, kann er die daraus regelmäßig unter Computereinsatz erfolgte saubere Variantenberechnung für sich nutzen. Bei seiner Arbeit hat er zudem nach seinen Angaben Leela Zero und Stockfish zur Überprüfung von Varianten eingesetzt.

 

Die Buchsprache ist Englisch. Da es viel Text zu verstehen gilt und auch schon mal das eine oder andere weniger gebräuchliche Wort verwendet wird, sind geübte Fremdsprachkenntnisse von Vorteil.

 

Fazit: „The Modernized Anti-Sicilians, Volume 1 – Rossolimo Variation“ ist ein gelungenes Repertoirebuch zur Rossolimo-Variante in der Sizilianischen Verteidigung. Es ist aus der Perspektive von Weiß geschrieben. Der Autor erläutert so ausführlich und verständlich, dass das Werk auch vom noch wenig geübten Spieler genutzt werden kann. Der Stoff ist aktuell und dürfte auch für den erfahrenen Spieler Neues bereithalten. Dies gilt nicht zuletzt für den Turnierspieler, der sich auch im Fernschach entwickelte Ideen zunutze machen will.

Ich kann das Werk ohne Vorbehalte zum Kauf empfehlen.

 

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Double Fianchetto - The Modern Chess Lifestyle

Daniel Hausrath
Double Fianchetto - The Modern Chess Lifestyle
272 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-94-9251-075-4
25,95 Euro



Double Fianchetto - The Modern Chess Lifestyle


Als ich das Werk „Double Fianchetto - The Modern Chess Lifestyle“ vom deutschen Großmeister Daniel Hausrath, Thinkers Publishing 2020, zur Vorbereitung dieser Rezension zum ersten Mal in die Hand genommen habe, bin ich davon ausgegangen, ein Eröffnungsbuch erhalten zu haben. Mein Irrtum wurde mir dann aber schnell klar. Hausrath hat der von ihm bevorzugten Idee, sich mit einem beidseitigen Fianchetto aufzubauen, ein Buch mit insgesamt 62 kommentierten Partien gewidmet. Diese sind zum Teil von ihm selbst gespielt worden. In den Duellen ohne seine Beteiligung kommen beispielsweise Spieler wie die von ihm sehr geschätzten Vladimir Kramnik und Ulf Anderson oder auch andere Akteure der Weltspitze, teilweise auch unterhalb des Spitzenschachs zum Zuge. Die meisten Partien stammen aus den jüngst vergangenen Jahren – sie interpretieren eben „the Modern Lifestyle“ im Schach.

In der Kommentierung dominieren Texterläuterungen gegenüber Varianten. Letzte sind ganz überwiegend auf wesentliche Abweichungen begrenzt, ohne verschachtelte Abzweigungen. Hausrath spart nicht mit Plaudereien, die das Werk sehr unterhaltsam machen. Er schreibt gerne, wie er den Leser wissen lässt, und dies lässt sich im Buch nachvollziehen.

Gegliedert ist „Double Fianchetto The Modern Chess Lifestyle“ in zwei Teile mit insgesamt 12 Kapiteln. Im ersten Teil (5 Kapitel) geht es um das Doppel-Fianchetto mit Weiß, im zweiten mit Schwarz (6 Kapitel) sowie mit beiden Farben (1 Kapitel). Der folgende Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis gibt Auskunft über die gegnerischen Aufbauten, gegen die mit dem beidseitigen Fianchetto reagiert wird.

Teil 1:
Kapitel 1: Double fianchetto against the King’s Indian and Grünfeld
Kapitel 2: Double fianchetto structures against the Dutch
Kapitel 3: Double fianchetto against the Queen’s Gambit and Tarrasch
Kapitel 4: Different move orders to reach the Double Fianchetto
Kapitel 5: Different resulting positions from the Double Fianchetto and theoretically-important nuances

Teil 2:
Kapitel 1: Double fianchetto in the Accelerated Dragon
Kapitel 2: Double fianchetto in the Caro Kann
Kapitel 3: Double fianchetto in the Modern
Kapitel 4: Double fianchetto in the “Hippo"
Kapitel 5: Double fianchetto against 1.d4
Kapitel 6: Double fianchetto in the Fischer System
Kapitel 7: Double fianchetto with both colours.

„Double Fianchetto - The Modern Chess Lifestyle“ ist kein Buch, auf das allein gestützt der Schachfreund allgemein Doppel-Fianchetto-Aufbauten im engen Wortsinn erlernen kann. Dies soll es aber auch nicht sein. Sehr wohl aber kann es den Leser dabei unterstützen, anderweitig erarbeitetes Theoriewissen über die kommentierten Partien zu vertiefen. Diese können dabei helfen, das Wissen zu verinnerlichen und „ein Gefühl“ für die Stellungen der behandelten Art zu entwickeln.

Hausrath gibt zum Teil Literaturhinweise bzw. –empfehlungen. Hoch im Kurs steht dabei insbesondere auch Boris Awruch (Grandmaster Repertoire-Reihe von Quality Chess).

„Double Fianchetto The Modern Chess Lifestyle“ ist in einem leicht verständlichen Englisch geschrieben. Mit Sprachkenntnissen auf Schulniveau wird der Leser kaum Probleme haben.

Fazit: „Double Fianchetto The Modern Chess Lifestyle“ ist ein in erster Linie unterhaltsames Werk zur Idee des Doppel-Fianchettos, das ich aber auch dem Leser empfehlen kann, der diese gerne anschaulich im Praxiseinsatz nachvollziehen möchte.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Hippopotamus Defence

Alessio De Santis
The Hippopotamus Defence
320 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-831-6
29,95 Euro



The Hippopotamus Defence


Wer sich ein Buch wie „The Hippopotamus Defence“ von Alessio De Santis zulegt, hat sich in der Regel bereits klar gemacht, welcher Art Eröffnung ihn bei der Lektüre erwartet. Ob der Kauf subjektiv dann als gelungen oder als Fehlgriff empfunden wird, hängt in der Folge kaum noch davon ab, ob die Eröffnung als solche für den Spieler in Betracht kommt, sondern vielmehr von der Qualität der Präsentation im Buch.
Das vorliegende Werk, bereits 2019 bei New In Chess (NIC) erschienen, ist vor diesem Hintergrund in meinen Augen beispielgebend gelungen und bringt damit alle Voraussetzungen mit, um vom Käufer als Gewinn wertgeschätzt zu werden.
Ganz bewusst ziehe ich diese Bewertung nach vorne, um meine für sie maßgeblichen Gründe zusammenstellen zu können, ohne mich ggf. wiederholt zur Spielbarkeit des Systems äußern zu müssen. Wer sich für die Hippopotamus-Verteidigung entscheidet, entscheidet sich zugleich für die charakteristischen Konsequenzen dieser Wahl, insbesondere für den verhaltenen Aufbau der eigenen Kräfte auf zunächst nur drei Reihen, für eine solide, lange aber passive Vorgehensweise sowie für das Ausblenden von viel Eröffnungstheorie. In die Potenziale, die die Hippopotamus-Verteidigung von sich aus mit sich bringt, weiht De Santis den Leser in „The Hippopotamus Defence“ sehr gelungen ein.

Bei dieser Verteidigung, für die es keinen allgemein anerkannten deutschen Namen gibt, handelt es sich nicht um eine ganz spezifische Eröffnungsvariante, mit der Schwarz auf eine ebenso spezifische gegnerische Eröffnungswahl reagiert, sondern um ein universelles System. In Deutschland wird sie gelegentlich auch als „Feustel-Verteidigung“ bezeichnet, weil FM Bernd Feustel ihr in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in seinem Buch „Eröffnungen – abseits aller Theorie“ etwas aus dem Niemandsland der „unregelmäßigen Eröffnungen“ verholfen bzw. sie als eigenständige Verteidigungsidee in etablierten Eröffnungen bekannter gemacht hat. Die Verteidigung kann beinahe beliebig gegen alles eingesetzt werden, was Weiß seinem Gegner präsentiert. Entsprechend ist „The Hippopotamus Defence“ nicht darauf ausgelegt, dass sich der Leser bestimmte Varianten einprägen soll. Vielmehr geht es darum, dass er die schwarzen Aufbauzüge, die De Santis in seiner Einführung bereits – in zwei unterschiedlichen und jeweils typischen Reihenfolgen – abschließend bezeichnet, auswendig lernt und diese dann mit Sinn und Verstand sowie in Abhängigkeit von den gegnerischen Entscheidungen in der angebrachten Reihenfolge spielt. Das Verständnis, das der Leser für diese Form seines Eröffnungsspiels braucht, will ihm der Autor Schritt für Schritt vermitteln. Dazu zählt auch die Vorbereitung zur Entscheidung, ob „das Nilpferd“ vollständig auf das Brett kommen soll oder nach dem eingeschlagenen Weg der Partie ein Teilaufbau besser ist.
Der Leser wird übrigens schon gleich nach dem Vorwort und beschränkt auf eine einzige Seite darauf vorbereitet, dass er nicht einfach stumpf seine Aufbauzüge abspulen kann, sondern sich ihm die Aufgabe stellt, seinen bevorzugten Aufbau komplett oder nur zum Teil zu realisieren. In einer zweispaltigen Darstellung auf Seite 9, die das Wesen des Systems in 60 Sekunden(!) offenlegen soll, macht der Autor deutlich, dass es neben dem Komplettaufbau mehrere „Semi-Hippos“ gibt.

De Santis hat eine interessante Struktur für sein Buch gewählt, die mich ein wenig an Repertoirebücher von Chess Stars erinnert. Er hat seinen Stoff in 3 Abschnitte eingeteilt, die mit „Flash“, „Reflection“ und „In depth“ betitelt sind. „Flash“ dient der schnellen Visualisierung von Stellungsbildern, der Veranschaulichung strategischer Pläne und wiederkehrender Motive, der Beschreibung von Vor- und Nachteilen alternativer Entscheidungen etc. Im günstigen Fall soll bereits eine drei- bis vierstündige Arbeit zum gewünschten Lernerfolg verhelfen.
In „Reflections“ sollen die Strategien sowie die vom Gegner initiierten Probleme in Breite studiert werden. Sehr ansprechend geht De Santis auf unterschiedliche Zentrumsformen sowie Übergänge zwischen ihnen ein. Hier bietet das Werk Chancen für eine universelle Erweiterung des Verständnisses beim Spieler, dessen Nutzen sich nicht auf Partien beschränkt, die mit der Bucheröffnung beginnen.
„In depth“ ist der Bereich, in dem De Santis tiefer in die Probleme der Theorie zu diesem System einsteigt. Er legt aber Wert auf die Feststellung, dass er sich am Anforderungsprofil des Klubspielers orientiert. Einen besonderen praktischen Nutzen verknüpfe ich hier mit Kapiteln zur Theorie in Abhängigkeit von der Zentrumsform und der Vermeidung von Fehlern, ohne dass dies etwa ein Hinweis darauf sein soll, dass die weiteren Gegenstände im Abschnitt 3 eher unwichtig sein könnten.
Den 3 bezeichneten Abschnitten sind insgesamt 16 Kapitel zugeordnet.

Methodisch arbeitet De Santis den Stoff teilweise abstrakt auf, was insbesondere für allgemein-theoretische Aspekte gilt, teilweise arbeitet er mit Partien und Fragmenten. Dies ist seine bevorzugte Alternative für die Besprechung von Gegenständen, die von einer konkret-spezifischen Natur oder mit ausgewählten Brettsituationen verbunden sind. Das Kapitel 12 beispielsweise ist mit „Instructive games“ betitelt und zeigt seinen Partien-Bezug somit schon in der Überschrift an. Und tatsächlich geht es dann um oben schon in anderem Zusammenhang kurz erwähnte Übergänge von einer konkreten Eröffnungsstruktur in eine andere, um nach den beteiligten Bauern unterschiedene spezielle Angriffsformen, um Benoni-Strukturen u.w.
Mit seinen Erläuterungen zielt der Autor erkennbar sehr darauf ab, seinen Leser das Verstehen der Hippopotamus-Verteidigung zu erleichtern. Er erklärt intensiv und holt dabei oft auch schon den noch weniger spielstarken Leser mit seinen Erläuterungen ab. Wenngleich De Santis sich, wie schon erwähnt, am Anforderungsprofil des Klubspielers orientiert, kann auch der noch weitgehend unerfahrene Spieler hinreichend gut mit „The Hippopotamus Defence“ arbeiten. Soweit der Autor generalisierende Aussagen für angebracht hält, etwa weil sie als Regel verstanden oder als Merksatz von Nutzen sein können, sind sie in Kästchen gefasst und so entsprechend abgehoben deutlich erkennbar.
Leitmotive und Manöver werden verschiedentlich über Diagramme visualisiert, in denen abgebildete Pfeile die Bewegungen bzw. Beziehungen anzeigen.

Hinsichtlich der aufgenommenen Partien differenziert De Santis in Schwierigkeitsgrade. Die an den Leser gerichteten Anforderungen reichen von leicht bis schwer, gekennzeichnet über Smileys in der Anzahl von 1 bis 3.

Auf den abschließenden Buchseiten finden sich ein ordentliches Variantenverzeichnis und eine Zusammenstellung von Hinweisen, die den Leser bei der Zusammenstellung eines sinnvollen Gesamtrepertoires inklusive der Hippopotamus-Verteidigung unterstützt.

Die Buchsprache ist Englisch. Mit Fremdsprachkenntnissen auf Schulniveau sollte der Leser aber bequem mit dem Werk arbeiten können. Persönlich habe ich im Zuge der Vorbereitung dieser Rezension die Arbeit mit „The Hippopotamus Defence“ als angenehm empfunden. Dies lag auch am Schreibstil des Autors, den ich als einfach, sachlich und doch zugleich auch als unterhaltsam bezeichnen möchte.

Fazit: Wer das universelle Verteidigungssystem „Hippopotamus-Verteidigung“ gut angeleitet kennen lernen und ggf. in sein Repertoire aufnehmen möchte, ist mit diesem Werk gut gedient. „The Hippopotamus Defence“ ist eine sehr gelungene Arbeit und deshalb eine Kaufempfehlung für den wie beschrieben vordisponierten Spieler.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Winning quickly with 1.b3 and 1. ...b6

Ilya Odessky
Winning quickly with 1.b3 and 1. ...b6
463 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-890-3
27,95 Euro



Winning quickly with 1.b3 and 1. ...b6


Der Titel „Winning quickly with 1.b3 and 1. ...b6“ lässt schon erahnen, dass sich hinter ihm ein Buch für den Blitzspieler verbirgt. Der Untertitel „Odessky’s Sparkling Lines & Deadly Traps“ schlägt in die gleiche Kerbe. Der Leser soll also mit spritzigen Varianten und tödlich wirkenden Fallen ausgestattet werden, die ihm schnelle Siege je nach Farbe seiner Steine mit 1.b3 oder 1…b6 einbringen. Es handelt sich bei diesem Werk um eine Neuerscheinung des Jahres 2020 bei New In Chess (NIC).
Der Autor ist Ilya Odessky, russischer IM, der das herkömmliche Wettkampfschach bereits vor etlichen Jahren aufgegeben und dann nach Abstinenz das Online-Schach für sich entdeckt hat. Dass er dabei auf eine bemerkenswerte Erfolgsentwicklung verweisen kann, erklärt er auch mit der Wahl außergewöhnlicher Eröffnungen, zu denen eben auch jene in Folge der beiden frühen Entwicklungszüge mit dem b-Bauern zählen.

Im Zuge der Vorbereitung einer Rezension versuche ich mich auch gerne etwas tiefer über den jeweiligen Autor zu informieren, wenn er denn nicht schon allgemein ein Begriff ist. Über die bei FIDE zu findenden Spielerinformationen hinaus war dies bei Ilya (Ilia) Odessky nicht ganz so einfach. Mit ein bisschen Beharrlichkeit kommen dann aber doch ein paar interessante Informationen zusammen. So lässt er sich als Autor eines Buches zur Owen-Verteidigung, auch als Englische Verteidigung bekannt, identifizieren, das 2007 bei Russian Chess House erschienen ist und sich damit ebenfalls mit b7-b6 als frühem Entwicklungszug befasst.
Weiterhin wird Odessky als Schachjournalist und – neben u.a. Kasparow und Ponomariov – Mitunterzeichner eines politischen Offenen Briefes an Wladimir Putin bezeichnet, nachzulesen u.a. auf den Seiten von ChessBase.
Informationen, die auch Bilder enthalten, sind zudem bei chesstranslation.com zu finden.

„Winning quickly with 1.b3 and 1. ...b6“ macht auf den ersten Blick einen gut organisierten Eindruck, der sich dann aber in der Folge um einiges relativiert. Schon beim Blick in das Inhaltsverzeichnis wird erkennbar, dass Odessky keine klare Trennung zwischen 1.b3 und 1…b6 vollzogen hat. Dies mag aus inhaltlicher Sicht begründbar sein, weil es viele gegenseitige Anleihen im Stoff - zu Ideen, Manövern und nicht zuletzt Plänen - gibt, erschwert die Arbeit mit dem Werk aber erheblich. Mir ist es an exemplarisch ausgewählten Stellen nicht immer gelungen, mich zu orientieren und den roten Faden zu behalten. Wenig Unterstützung bietet dabei auch das Variantenverzeichnis am Ende des Buches, das zwar ausführlich ist und auch zwischen 1.b3 und 1…b6 unterscheidet, leider aber keine Seitenzahlen angibt. Der Leser erfährt zur abgebildeten Variante lediglich die Nummer der Partie oder Partien, in denen sie besprochen wird. Man muss sich also durchblättern, um die gesuchte Stelle zu erreichen.

Bei den gerade bezeichneten Partien handelt es sich um insgesamt 82 Fragmente, die vom ersten Zug bis zur Entscheidung und manchmal auch darüber hinaus intensiv erörtert werden. Odessky erläutert umfassend; so ergibt sich ein guter Mix aus Text und Varianten. Der Schreibstil ist unterhaltsam, so dass es unabhängig vom Geschehen in Sachen Schach nicht langweilig wird.

Oft verweist Odessky darauf, dass er jeweilige Züge und Varianten mit dem Computer überprüft hat, das Ergebnis gibt er an. Bisweilen bestätigt er, dass ein Gegenstand der Betrachtung rechnerisch zweifelhaft oder nachteilig für die betroffene Seite ist, was in einer Blitzpartie dann aber erst einmal bewiesen sein will.
Nach meinem Eindruck, der auf mehreren von mir untersuchten Stellen basiert, hat Odessky die Analysen nicht oder zumindest nicht immer unter einer Feinjustierung der Engine durchgeführt, so etwa zum Erwartungsfaktor. Die nach Fernschachpraxis durchgeführte Analyse kann deshalb zu abweichenden Einschätzungen führen. Die Fairness verlangt hier aber den Hinweis darauf, dass die Analyseergebnisse unter Fernschachbedingungen nur beschränkt aussagekräftig sind, wenn es um die praktischen Chancen in einer Blitzpartie geht.

Ebenfalls ganz im Sinne des Blitzschachs sind Aussagen des Autors etwa mit dem Inhalt, dass der Computer in einer Stellung nichts gefunden hat, was sich als Verbesserung anbietet, aber nichts dagegen spricht, das Risiko einer abweichenden Wahl einzugehen.
Nicht erklären kann ich mir eine gewisse Zurückhaltung des Autors hinsichtlich der Angabe von Namen, die sich aber durchgehend erkennen lässt. Ein interessantes Beispiel lässt sich auf Seite 183 finden. Hier geht er auf eine Partie ein, die er gegen einen Meister aus Deutschland gespielt hat, ohne den Namen zu nennen. Ich war dann neugierig und habe die Partie eingegeben und in meinen Datenbanken gesucht, die eigentlich recht gut sortiert sind. Gefunden habe ich sie nicht darin. Vermutlich aber handelt es sich um ein flüchtiges Duell im Internet, das allenfalls auf dem Spielserver gespeichert worden ist. In diesem Fall war die Partie eigentlich schon nach einem Dutzend Zügen klar entschieden, wurde aber – mit für das Blitzschach üblichen Ungenauigkeiten – weitergeführt.

Auch wenn das Fernschachspiel gelegentlich im Buch erwähnt wird, spricht dies nicht dafür, auf eine Fernschachtauglichkeit der behandelten Variante zu setzen. Auf Seite 386 beispielsweise geht Odessky auf eine Linie ein, die er in „mehreren Fernschachpartien“ gefunden hat. Meine dem nachvollzogene Suche hat mich nur zwei Partien finden lassen, von denen eine im niedrigen Leistungsniveau ausgetragen und die andere dadurch entschieden worden ist, dass Schwarz wie in allen weiteren noch offenen Partien des Turniers aufgegeben hat.

Die in „Winning quickly with 1.b3 and 1. ...b6“ vorgestellten Eröffnungswege sind sicher eine gute Wahl für das Blitzschach, weil sie das Potenzial haben, den Gegner von Beginn an aus seiner Praxis sowie Vorbereitung zu bringen. So wird der Spieler, der sich mit diesem Werk vorbereitet hat, vermutlich häufig einen schnellen Zeitvorteil erlangen, indem er rasch einige Züge abspulen kann während sein Gegner nachdenken muss. Da sind dann auch schnell mal Fehler gemacht, die sogar etwas dubiose Wege spielbar machen können.

Wer bequem mit dem Werk arbeiten können möchte, sollte über Englischkenntnisse auf einem ordentlichen Schulniveau verfügen, weil es recht viel zu lesen gilt.

Fazit: „Winning quickly with 1.b3 and 1. ...b6“ ist eine für das Blitzschach optimierte Erörterung der etwas exotischen thematischen Eröffnungswahl. In dieser schnellen Variante werden sich auf dieser Basis gute Erfolge erzielen lassen, was die Ergebnisse des Autors selbst bestätigen. Der Spieler, der ein Hilfsmittel allein für den Einsatz im Fernschach sucht, kann das Werk als Ideensammlung nutzen, sollte dabei aber sehr genau prüfen, ob eine empfohlene Spielweise auch außerhalb des Blitzschachs mit hinreichend Erfolgschancen verbunden ist.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Mastering Positional Sacrifices

Mirijn van Delft
Mastering Positional Sacrifices
315 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-883-5
24,95 Euro



Mastering Positional Sacrifices


„Mastering Positional Sacrifices“ aus der Feder des niederländischen Internationalen Meisters Merijn van Delft widmet sich einem der faszinierendsten Themen, die das Schachspiel bietet – das Opfer von Material mit dem Ziel, einen positionellen Vorteil zu erlangen, auch kurz als Positionsopfer bezeichnet. Diese lassen sich nicht konkret berechnen, sie basieren in großem Maße auf Stellungsgefühl und Intuition. Ob sie zum Ziel führen, zeigt sich in der Regel erst nach etlichen weiteren Zügen. Und wenn sie dem Spieler den Erfolg einbringen, können sie eine Partie zu einem Kunstwerk machen.
Mir persönlich war es nie vergönnt, eine Stärke zur Anwendung dieses Mittels außerhalb von Gambit-Eröffnungen zu entwickeln. Auch war ich das Opferwagnis vor Augen nicht mutig genug, es anzuwenden. Vermutlich hängt hiermit auch die Bewunderung des Spielers zusammen, der mit einem Positionsopfer den Schalter zu seinen Gunsten umlegt. Er macht einen Zug, der aus seiner Hand ein genialer Kniff ist, während er den meisten Hobbyspielern nicht als Möglichkeit auffallen und allenfalls als Fehler passieren würde.

„Mastering Positional Sacrifices“ ist 2020 bei New In Chess (NIC) erschienen und hat das Potenzial zu einem neuen Standardwerk. Van Delft arbeitet das Thema von den Anfangsgründen bis zur hohen Kunst auf und lässt den Leser zum Schluss das Erlernte an Übungsaufgaben anwenden.
Im ersten von vier Abschnitten geht es um die Grundlagen des Opfers. In vier Kapiteln, die sich mit Elementen des guten, des aktiven Figurenspiels, mit Bauernstrukturen, mit Felderkomplexen von einer bestimmten Farbe und mit Initiative bzw. Dominanz im Spiel befassen, errichtet van Delft quasi den Unterbau für alles, was noch folgen wird. Hierzu nutzt er historische bis aktuelle Meisterpartien, die er intensiv und auf Aspekte, die vor dem Hintergrund des Opferspiels eine Rolle spielen, untersucht und bespricht. Hierfür hat er Themenblöcke gebildet und die Partien entsprechend zugeordnet. Im Kapitel 1 geht es beispielsweise um die Linienöffnung, um das Öffnen geschlossener Stellungen und von Diagonalen. Jedes Kapitel wie auch jeden thematischen Block leitet er mit allgemeinen Informationen ein. Die Erörterung der Partien erfolgt sehr ausführlich. Passagenweise wird jeder Zug oder jedes Zugpaar intensiv erläutert. Das Positionsopfer kann man nicht klassisch durch ein Einprägen erlernen. Der Weg kann nur über ein qualifiziertes Spielverständnis führen, um das sich van Delft zugunsten des Lesers vorbildlich bemüht.
Die Kapitel werden von einer Zusammenfassung abgeschlossen, die sich regelmäßig inhaltlich auf das beschränkt, was auch tatsächlich zuvor schon zur Sprache gekommen ist.

Der zweite Abschnitt befasst sich mit typischen Positionsopfern. Van Delft beginnt das erste von zwei Kapiteln dieses Bereichs mit den Abläufen im Wolga-Benkö-Gambit, setzt mit jenen im Marshall-Angriff (Marshall-Gambit) in der Spanischen Partie fort, kommt dann zum „Powerplay mit Weiß“ und zuletzt zum Gegenspiel mit Schwarz. „Powerplay“ steht hier für einen enormen Druck, den Weiß entwickelt, so etwa im Königsgambit. Für seine Darstellungen zum Gegenspiel mit Schwarz verwendet er Bauernopfer in der Grünfeld-Indischen wie auch der Königsindischen Verteidigung sowie der Taimanov-Variante der Sizilianischen Verteidigung. Für den Leser ist es sehr nützlich, dass van Delft ein breites Spektrum an Eröffnungen abdeckt, aus denen heraus die Opferstellungen entstehen.
Im 6. Kapitel geht es um typische Qualitätsopfer. Schwerpunkte bilden zunächst die Russische, die Französische und die Sizilianische Verteidigung. Es folgen als Thema das Opfer Turm gegen Läufer auf a1 und auf e6 (bzw. e3 mit Schwarz) und Überlegungen und Hinweise zum Aufbau eines Eröffnungsrepertoires.
Meine Beschreibung der Art und Weise, wie van Delft den Stoff vor dem Leser ausbreitet, zum Abschnitt 1 des Werkes gilt identisch auch für den Abschnitt 2 und in der Folge auch für Abschnitt 3.

Wenn van Delft den Leser bis hierher im Ferrari hat mitfahren lassen, steigt er nun mit ihm in den Formel 1-Boliden um. Im 3. Abschnitt geht es darum, die Grenzen des Möglichen auszuloten. Es geht um den Extremsport in Sachen Positionsopfer im Schach, um mich dem Begriff des Autors anzuschließen. Der Leser begibt sich hier im ersten Kapitel (insgesamt schon Kapitel 7 im Werk) in die Welt der doppelten Qualitätsopfer, der Damenopfer und der Turmopfer. Für die meisten von uns würden solche Opfer regelmäßig wohl den Selbst-Kick aus der Partie bedeuten. Aber auch wenn dieser Teil des Buches für den „Normaladressaten“ kaum praktische Relevanz haben dürfte, helfen die Ausführungen des Autors zur Erweiterung des Verständnisses des Lesers. Und höchst unterhaltsam ist er allemal, was allerdings für alles von Seite 7 bis Seite 315 gilt.
Die Überschrift des nächsten Kapitels legt die Latte der Erwartung hoch, denn es geht um nicht weniger als um Helden („heroes“). Der Leser muss aber nicht befürchten, hier nur eine Art von Reminiszenz auf überragende Opferspieler vorzufinden. Vielmehr verbindet van Delft „diese Ehrung“ mit weiteren Sparten zum Thema, so beispielsweise zum Opfer, um einen starken Springer zu erhalten.
Im letzten darstellenden Kapitel, als durchnummerierte Nummer 9 den Abschnitt 3 abschließend, geht es um das Opferspiel in Verbindung mit Engines und künstlicher Intelligenz. Die Kapitelüberschriften sind „Mensch gegen Maschine (man versus machine)“, „AlphaZero“ und „Leela“.

Eine echte Herausforderung, oder besser 48 Mal eine echte Herausforderung, erwartet den Leser im Abschnitt 4. Hier kann er sich an Übungsaufgaben versuchen, bei denen er jeweils nicht mehr als ein Ausgangsdiagramm und die Angabe zur am Zug befindlichen Seite vorfindet. Nach der Arbeitsanweisung des Autors soll der Leser wie in seiner eigenen Partie vorgehen, also analysieren. Was er dabei suchen soll, muss er selbst herausfinden, auch so wie in seiner Partie. Es kann ein den Gewinn verschaffendes positionelles Opfer sein, um das es geht, aber auch ein taktisches Opfer, die beste Verteidigung in einer grundsätzlich verlorenen Stellung und mehr. Und weil sich 48 schön teilen lässt, hat er die Aufgaben in vier Gruppen zu je 12 Beispielen geordnet. Der Schwierigkeitsgrad reicht von der Stufe 1, der den meisten Spielern korrekte Lösungen in Aussicht stellt, bis zur Stufe 4, die für überaus „harte Nüsse“ steht. Die sehr ausführlich gehaltenen Lösungen nehmen gleich im Anschluss an die Aufgaben ein eigenes Kapitel ein, die abschließende Nummer 11.

„Mastering Positional Sacrifices“ verschafft jedem Leser die Chance, unter Anleitung tief in die Welt des Positionsopfers einzudringen. Aber darauf beschränkt sich das Werk nicht; vielmehr ist es auch allgemein ein Kurs zum Positionsspiel. Unterhaltsam ist es nicht allein wegen der zahlreichen wunderbaren Opfermanöver, die es zeigt, sondern auch aufgrund des Erzählstils.

Es gilt zwar einiges an englischsprachigem Text zu verarbeiten, doch ist dieser gemessen am Wortschatz und am Satzbau nicht mit großen Herausforderungen an den Leser verbunden. Wer sich mit einem ordentlichen Schulenglisch ans Werk begibt, wird allemal damit zurechtkommen.

Fazit: „Mastering Positional Sacrifices“ ist ein sehr gelungenes Buch, in dem es systematisch um das Positionsopfer geht. Sein Schulungspotenzial geht jedoch darüber hinaus und erstreckt sich u.a. auch auf das Positionsspiel allgemein. Die 48 Übungsaufgaben am Ende verlangen dem Leser alles ab. Selbst soweit er diese nicht erfolgreich absolvieren kann, fördern sie im Zusammenwirken mit den Lösungen das Verständnis enorm.
Das Werk hat das Potenzial zu einem neuen Standardwerk.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Modernized Marshall Attack

Milos Pavlovic
The Modernized Marshall Attack
232 Seiten, kartoniert
ISBN: 9789492510853
24,95 Euro



The Modernized Marshall Attack


„The Modernized Marshall Attack“ von Milos Pavlovic befasst sich mit der Abtauschvariante im Marshall-Angriff der Spanischen Partie und mit Spielweisen für Weiß, die entweder der Abtauschvariante aus dem Weg gehen oder sogar Schwarz daran hindern, zu diesem Angriff zu greifen. Erschienen ist das Werk bei Thinkers Publishing in 2020.

Das Material verteilt sich auf drei Abschnitte mit insgesamt 14 Kapiteln. In Teil 1 geht es nach den Grundzügen des Marshall-Angriffs und dann 9.exd5 Sxd5 10.Sxe5 Sxe5 11.Txe5 c6 um den weißen Aufbau mit d4, im Teil 2 um den Aufbau mit d3 und im Teil 3 um die weißen Anti-Marshall-Möglichkeiten. Auf weiteren rund 35 Seiten hat der Autor in einem Anhang („Appendix“) die mit 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.Lxc6 dxc6 5.0-0 f6 eingeleitete Abtauschvariante der Spanischen Partie thematisiert. So ganz passt diese Ergänzung nicht in das Grundkonzept. Sinn macht sie aber dennoch ohne Zweifel, denn das Buch ist aus der Warte von Schwarz geschrieben und mit 4.Lxc6 kann Weiß der Partie früh eine ganz eigene Richtung geben. Auch hiergegen findet der Leser entsprechend Anleitung und Ideen im Werk.

Sein Vorwort abschließend erklärt Pavlovic, dass „The Modernized Marshall Attack“ praktisch den Lesern aller Spielstärken helfen wird. Ich denke, dass dies zu optimistisch gedacht ist. Unterhalb der Klubstärke dürften sich schnell eine Überforderung und Frustration beim Leser einstellen. Das Buch setzt viel an Verständnis voraus. Einfache Erläuterungen oder gar eine Einführung mit Basisinformationen für den unerfahrenen Spieler würde er vergeblich suchen. Für den Einsatz ab Klubniveau und dann nach oben offen ist das Werk besser verortet.
Besonders gut kann ich es mir als Ergänzungswerk für den Leser vorstellen, der den Marshall-Angriff bereits im Repertoire hat und dieses erneuern und erweitern möchte.

Die Erörterung erfolgt in einem bunten Mix aus Varianten, die sich aus Partiefragmenten und Analysen rekrutieren, und Kommentaren. Diese sind ganz überwiegend substanziell, indem sie besondere Stellungsmerkmale identifizieren, die daraus resultierenden Möglichkeiten herausarbeiten, ganz konkret als vor- oder nachteilig gewertete Aspekte bezeichnen und Stellungseinschätzungen begründen. Die Varianten können auch schon mal etwas länger ausfallen, sind aber auch dann überwiegend nicht etwa unkommentiert.
Die Darstellung ist durchgehend sehr übersichtlich. Die Hauptzüge werden abgesetzt und sind in Fettschrift gehalten. Nebenvarianten sind nach Kategorie farblich unterschieden. Zahlreiche Diagramme unterstützen die Aufnahme. Zeigen sie eine Stellung aus der Hauptvariante, so sind sie etwas größer als jene in den Nebenvarianten.
Organisiert ist der Stoff nach der klassischen Baumstruktur. Ergänzende Illustrationspartien sind nicht integriert.

Pavlovic hat zahlreiche eigene Analysen eingebracht, worauf er auch aufmerksam macht. In einer englischsprachigen Besprechung fand ich die Aussage, dass der Hinweis, es handele sich um eine Neuerung, nicht immer zutreffe. Dieser bin ich dann genauer nachgegangen und fand sie bestätigt. Ein besonderes Beispiel dazu: Auf Seite 27, rechte Spalte, handelt es sich bei einem Zug 21…Dd7 im Rahmen einer Analyse angeblich um eine Neuerung. Ich habe 11 Partien, die älteste in 1991 gespielt, mit dieser Fortsetzung gefunden. Der frühere Fernschach-Weltmeister Timmerman hat den Zug sogar mal gegen sich auf dem Brett gehabt und das Duell gewonnen. Pavlovic hat einiges Material aus dem Fernschachspiel aufgenommen. So wundert es mich etwas, dass ihm hier die Historie des Zuges durchgegangen ist.

Das schwarze Bauernopfer im Marshall-Angriff ist absolut solide. Dies wird auch deutlich, wenn man die Fernpartien auswertet, die jenseits der Elo-Schwelle von 2450 (beidseitig) und etwa in den vergangenen fünf Jahren gespielt worden sind. Es gibt keine Weißsiege, Schwarzsiege allerdings auch nicht. Entsprechend willkommen können die Analysen von Pavlovic sein, die zumindest neue Ideen und Ansätze anbieten, die weiter überprüft und dann eventuell in der eigenen Praxis dem Tauglichkeitstests unterzogen werden können.

Die Anforderungen an die Englischkenntnisse des Lesers sind moderat.

Fazit: „The Modernized Marshall Attack“ ist ein empfehlenswertes Buch für den fortgeschrittenen Spieler ab dem Bereich des Klubniveaus und den Fernschachspieler. Es enthält viel aktuelles und neues Material, das besonders auch dabei helfen kann, das Repertoire des Spielers zum Thema zu aktualisieren und zu erweitern.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.