BdF - die Einheitsorganisation des deutschen Fernschachs
Von H. W. von Massow, Geschäftsführer des BdF
Die deutschen Fernschachfreunde kennen keine Zonengrenze - unter diesem Leitsatz stand die Arbeit der 1946 gegründeten Arbeitsgemeinschaft deutscher Fernschachfreunde (BdF). Diesem Leitsatz ist sie treu geblieben. Zonale Begrenzung wäre eine Sünde wider den Geist des Fernschachs! Fernschach will in die Ferne, wie sein Name sagt, will Zeit und Raum überwinden! Immer wieder hat der Vorstand des BdF zum Ausdruck gebracht, daß es im deutschen Fernschach keine Trennung in Ost und West geben darf.
Das erste Fernschachtreffen, das seit Kriegsende durchgeführt wurde, fand vom 24. Juni bis zum 2. Juli statt in dem kleinen Erzgebirgsstädtchen Frauenstein. Es stand im Zeichen der Einheit, die, in erfolgreichen Verhandlungen mit Vertretern des Deutschen Sportausschusses Berlin auf eine feste Grundlage gestellt wurden. Wir veröffentlichen nachstehend das Protokoll über die am 29. Juni in Frauenstein geführte Besprechung zwischen dem Geschäftsführer des BdF, Hans Werner v. Massow und dem 1. Turnierleiter des BdF, Eberhardt Wilhelm (beide Hamburg) sowie den Sportfreunden Bruno Schulz Mitglied des Sekretariats des Deutschen Sportausschusses, und Gustav Müller, Leiter der Sparte Schach im Deutschen Sportausschuß.
"Nach eingehender Diskussion sowohl über die grundsätzlichen Probleme als auch über die sporttechnischen Fragen der künftigen Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Fernschachs wurde folgende Arbeitsbasis entwickelt:
I. In den grundsätzlichen Fragen wurde Einigkeit in folgenden Punkten erzielt:
1) Ausgehend von dem Zustand, in dem sich unser deutsches Volk befindet, sind die beteiligten Sportfunktionäre davon überzeugt, daß die Trennung Deutschlands durch die künstlich aufrecht erhaltene Zonengrenze nicht den Interessen unseres gesamten deutscheu Volkes entspricht. Wir sind uns darüber klar, daß eine Besserung der Lebenslage des gesamten deutschen Volkes nur dann eintreten kann, wenn die Zonengrenze beseitigt wird, wenn ein Friedensvertrag geschlossen wird und wenn ein Jahr nach der Ratifizierung dieses Vertrages die Besetzung unseres deutschen Vaterlandes aufgehoben und der Abzug der Besatzungstruppen durchgeführt wird.
2) Wenn die Lebenslage des gesamten deutschen Volkes verbessert werden soll, ist es notwendig, daß entsprechend den Potsdamer Beschlüssen unserem Volke die Möglichkeit gegeben wird, alle seine politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kräfte für die Lebensinteressen des deutschen Volkes auszunutzen. Dies kann aber nur geschehen, wenn gemäß den Potsdamer Beschlüssen die demokratische Einheit Gesamtdeutschlands hergestellt wird.
3) Es liegt nicht im Interesse der Erhaltung des Friedens und damit im Interesse des gesamten deutschen Volkes, wenn auf der einen Seite die Friedensindustrie demontiert und auf der anderen Seite die Kriegsindustrie gefördert wird, wie das im Westen unseres Vaterlandes offen geschieht. Es liegt nicht im Interesse der Erhaltung des Friedens und damit auch nicht im Interesse des deutschen Volkes, wenn z. B. westdeutsche Werften und die großen Industrieanlagen in Watenstedt Salzqitter fortlaufend zerstört und andererseits z.B. weite Gebiete der Lüneburger Heide nutzbar gemacht werden.
4) Diese wenigen Beispiele zeigen schon nachdrücklichst, daß sich alle deutschen Sportler für die Erhaltung des Friedens und die Schaffung eines demokratischen, unabhängigen und einheitlichen Deutschlands einsetzen müssen, wenn nicht unser Volk vollkommen zu Grunde gehen soll. Wir Sportler setzen uns deshalb dafür ein, weil wir erkennen, daß die Besserung unseres Lebensstandards ja unserer ganzen Lebenslage und damit die Ausübung unseres Sports nur möglich ist, wenn der Frieden erhalten bleibt und ein demokratisches Deutschland geschaffen wird.
II. In den sporttechnischen Fragen wurde Einigkeit in folgenden Punkten erzielt:
1) Die Einheit des deutschen Fernschachs zwischen den Sportfreunden in der DDR und in Westdeutschland muß im Interesse der Einheit unseres Vaterlandes gewahrt bleiben.
2) Aus diesem Grunde sollen die Interessen der deutschen Fernschachfreunde durch die "Arbeitsgemeinschaft der deutschen Fernschachfreunde (BdF)" vertreten werden, in der sowohl die Gruppe der in Westdeutschland lebenden als auch die Gruppe der in der DDR lebenden Fernschachsportler zusammengefaßt worden sind.
3) Die Leitung der Arbeitsgemeinschaft deutscher Fernschachfreunde (BdF) liegt in den Händen des Vorstandes, der paritätisch besetzt wird von Fernschachfreunden, die in Westdeutschland leben bezw. von Fernschachfunktionären des Deutschen Sportausschusses Berlin. Die internationale Vertretung der Arbeitsgemeinschaft deutscher Fernschachfreunde (BdF) bei dem Weltfeinschachbund liegt in den Händen von Delegierten, von denen der eine ein Sportfunktionär des Deutschen Sportausschusses Berlin ist und der andere in Westdeutschland beheimatet ist.
4) Sämtliche Turniere erfolgen auf gesamtdeutscher Grundlage.
Dieses Protokoll soll den Rahmen bilden, in dem die zukünftige Zusammenarbeit der deutschen Fernschachsportler erfolgen kann. Weitere ins Einzelne gehende Arbeitsunterlagen können künftig entwickelt werden auf der Basis der im Protokoll festgelegten Grundsätze.
Frauenstein, den 29. Juni 1950
(gez.) Bruno Schulz, Gustav Müller, v. Massow, Eb. Wilhelm"
Dieses Protokoll, dem der Gesamtvorstand des BdF zugestimmt hat, sichert die Einheit des deutschen Fernschachs, die der BdF in Zukunft genau wie bisher gegen alle Tendenzen der Spaltung, wo auch immer sie sich zeigen werden, energisch verteidigen wird. "Das deutsche Fernschach kann stolz darauf sein", erklärte der Geschäftsführer des BdF, Hans-Werner v. Massow, "daß es trotz der Zonengrenze in einer einheitlichen Organisation zusammengefaßt ist, die seine Interessen dem Ausland gegenüber vertritt. Leider ist dieser Zustand auf anderen Gebieten des sportlichen und kulturellen Lebens unseres deutschen Vaterlandes noch nicht erreicht."
Auch von dem Turnierdirektor des Weltfernschachbundes Erik Larsson (Stockholm) der an dem Frauensteiner Fernschachtreffen teilnahm, wurde dieses Abkommen lebhaft begrüßt. Erik Larsson bekundete: "Meiner besonderen Freude möchte ich Ausdruck geben darüber, daß nur eine einzige deutsche Organisation, nämlich der BdF, im Weltfernschachbund die deutschen Interessen vertritt."Mit besonderer Begeisterung äußerte sich Erik Larsson über die Aufnahme, die ihm zuteil wurde. Er sagte:
"Ich bin viel im Ausland gewesen, aber nirgends bin ich so herzlich aufgenommen worden wie in der Deutschen Demokratischen Republik. Ich freue mich, hier so viele neue Freunde gefunden zu haben!"
Willkommens-Girlanden waren über die Straßen Frauensteins gewunden. Im Turniersaal hing neben der deutschen Fahne zu Ehren des schwedischen Gastes die Fahne Schwedens Der Bürgermeister der Stadt hatte die Schirmherrschaft der Veranstaltung übernommen. Ganz Frauenstein stand für eine Woche im Banne des Schachs.
Eifrig wurde gekiebizt bei den Turnieren, aber die Woche war keineswegs nur dem schachlichen Kampf gewidmet. Viele schöne Ausflüge fanden statt, zur Talsperre Lehnmühle und in das idyllische Gimmlitztal, an einem großen Sängerfest nahmen die Fernschachfreunde als Ehrengäste teil und zum Abschied fand ein Sportfest statt. Eine besondere "Attraktion" war ein Fußballkampf zwischen der Frauensteiner Sportgemeinschaft und einer Elf, bestehend aus Teilnehmern am Fernschachtreffen. Eric Larsson, der außerdem ein Tischtennisturnier gewonnen hatte, erwies sich als Allround-Sportler und zeigte als Linksaußen, daß er nicht nur mit Schachfiguren, sondern auch mit dem Fußball umzugehen weiß. Als in der 2. Minute die Feinschächer mit 1:0 in Führung gingen, herrschte große Begeisterung, aber schließlich setzte sich doch die Routine der Fußballfachleute durch, die Fernschachfreunde verloren mit 2:9.
Im Mittelpunkt der schachlichen Kämpfe stand das Meisterturnier, in dem sich Dr. Engel (Leipzig) klar überlegen zeigte. Er siegte mit 6,5 Punkten vor Großer (Auerbach) 5, Vlk (Eisleben) 4,5, Bauer (Dresden) 3, Larsson (Stockholm), Hunger (Jeserig) und dem 16-jährigen Wilde (Zeuthen) je 2,5 je sowie Braun (Thum) 1,5. Im Turnier der 1. Klasse wurden sieben Runden nach Schweizer System gespielt. Es siegte nach Wertberechnung Tolksdorf (Berlin) 5,5 u. a. vor Werner (Maßlau), Skirl (Leipzig) 4 und Rötzschke (Ammendorf) 3,5. Das Blitzturnier, ausgetragen in mehreren Gruppen, gewann Bauer (Dresden) vor Dr. Engel (Leipzig), Baumann (Dresden), Seifert (Freiberg) und Hackenberger (Freiberg).
Bei der Abschlußfeier wurde eine von allen Teilnehmern unterzeichnete Grußadresse an den Präsidenten des geeinten Deutschen Fernschachs, Fernschachmeister Dr. Edmund Adam (Frankfurt/M.) gesandt, der aus beruflichen Gründen leider an der Teilnahme verhindert war.