1. Deutsches Fernschachtreffen in Stadtprozelten 1956

Das Wappen des Gastgeberortes
Das Wappen des Gastgeberortes

Das 1. Deutsche Fernschachtreffen fand in der Zeit vom 27. Dezember bis zum 31. Dezember 1956 in Stadtprozelten statt.

Stadtprozelten liegt am südlichen Rand des Spessarts im unterfränkischen Landkreis Miltenberg.

Die Geburtsstunde der deutschen Fernschachtreffen unter der Organisation des BdF lag im Jahr 1956, in dem das erste offizielle Treffen stattfand. Wie die Idee entstand und aufgegriffen wurde, zeigt ein Auszug aus dem Protokoll einer Sitzung des BdF-Vorstandes am 8.9.1956:

Vorstandssitzung vom 8.9.1956

Durchführung von Fernschachtreffen

Einem Vorschlag Dr. H. Meyers (Stadtprozelten) folgend wurde beschlossen, in Stadtprozelten/Main vom 27.-31. Dezember 1956 ein Fernschachtreffen durchzuführen, das dem persönlichen Kennenlernen dienen soll, ohne repräsentative Aufgaben besonderer Art oder beschlußfassende Rechte zu besitzen. Dr. H. Meyer (Stadtprozelten) wurde mit der Vorbereitung, Organisation und Durchführung beauftragt; für die bereits aus eigener Initiative geleistete Arbeit wurde ihm der Dank ausgesprochen. Es wurde zur Kenntnis genommen, dass dem BdF für die Durchführung des Treffens keine Kosten wie etwa für Preisstiftungen, generelle Zuschüsse an die Teilnehmer und dergleichen erwachsen.
Es wurde beschlossen, im kommenden Jahre nach Möglichkeit ähnliche Fernschachtreffen auch in anderen Bezirken der Bundesrepublik durchzuführen.

In FERNSCHACH wurde vorab wie folgt auf das anstehende Treffen aufmerksam gemacht:

Stadtprozelten erwartet auch Sie!

Sofern Sie sich noch nicht zu dem Fernschachtreffen in Stadtprozelten (27. - 31. Dezember) meldeten, zögern Sie bitte nicht länger! Das gilt insbesondere für jene Fernschachfreunde, die keinen weiten Reiseweg haben. Stadtprozelten ist Eilzugstation an der Strecke Frankfurt/M. - Ulm und somit bequem erreichbar. Übernachtung und Verpflegung pro Tag nur DM 7! Anreisetag ist der 26. Dezember. Meldungen an Dr. Hermann Meyer, 13a) Stadtprozelten/Main. Bitte geben Sie an, wie lange Sie Aufenthalt wünschen; einige Fernschachfreunde haben bereits bis zum 6. Januar Quartier belegt.

Der spätere Bericht lautete:

Bericht über das Fernschachtreffen in Stadtprozelten

Das BdF-Fernschachtreffen zwischen Weihnachten und Neujahr in dem romantischen Mainstädtchen Stadtprozelten am Fuße der tausendjährigen Henneburg wurde allen Teilnehmern zu einem unvergeßlichen Erlebnis. Deutlich sichtbar und fühlbar wurde das hohe Ideal der Fernschachfreundschaft eine beglückende Realität. Es herrschte eine Atmosphäre herzlichster Freundschaft, als ob Menschen zusammengekommen waren, die einander schon jahrelang persönlich kennen. Fast alle aber hatten sich soeben erst persönlich kennen gelernt!

Dem Landrat in Marktheidenfeld und der Stadtverwaltung gebührt Dank für die ideelle und materielle Unterstützung, ebenso Dr. Hermann Meyer für die organisatorische Vorarbeit. Die verantwortliche Leitung der Veranstaltung lag bei dem 1. Turnierleiter Eb. Wilhelm in besten Händen. Hans-Werner von Massow übermittelte als Vizepräsident die Grüße des Präsidenten Hermann Heemsoth, der an dem Weihnachtsturnier in Hastings teilnahm und dort mit dem 2. - 3. Preis im "Premier-Reserveturnier A" einen ausgezeichneten Erfolg errang. Büürgermeister Wahl hieß alte Teilnehmer herzlich willkommen. Ein Ehrenpreis des Stadtrates wird als Wanderpreis auch auf allen weiteren Fernschachtreffen umkämpft sein und so die Erinnerung an diese schönen Tage wachhalten. Diesmal blieb er im Ort, denn Dr. Hermann Meyer gewann das nach Schweizer System ausgetragene Turnier dank besserer Wertberechnung vor dem punktgleichen H.-J. Döhner (Frankfurt/M). Bei einem Ausspracheabend wurden Fernschachfragen verschiedenster Art, vor allem solche der Turnierordnung, des Wettkampfwesens und der Zeitschrift mit großem Interesse diskutiert. Einige der Teilnehmer an dem Fernschachtreffen vereinbarten ein Fernturnier, daß innerhalb der Sonderturniere des BdF unter dem Nahmen "Stadtprozelten-Turnier" starten wird.

Das Programm, das beim Begrüßungsabend besprochen wurde, war so reichhaltig, dass schließlich ein etwas schüchterner Zwischenruf kam: "Wird eigentlich auch Schach gespielt?" Es wurde! Aber das bereits erwähnte Turnier war keineswegs der Hauptpunkt der "Veranstaltungs-Tagesordnung". Sinn der Fernschachtreffen ist es ja nicht, Nahschachturniere zu veranstalten, sondern das Zusammengehörigkeitsgefühl der Fernschachfreunde untereinander und ihr Verbundensein mit der Organisation weiter zu festigen sowie Gelegenheit zu einem persönlichen Meinungsaustausch über Erfahrungen und Erlebnisse der Fernschachpraxis zu geben. Um aber zunächst beim Schachspiel zu bleiben: das meiste Publikum fanden die mit munteren Reden gewürzten Blitzkämpfe des Pfalzmeisters Rudolf Schwind (Rodalben), der an Organisationsjahren mit zu den ältesten Fernschachfreunden gehört. Viel Heiterkeit erregten die "Phantom" - Schachkämpfe, ein insbesondere in Schweden weit verbreitetes Ulkschach, das sich mit wenigen Worten nicht erklären läßt und das man selbst erlebt haben muß. Fernschachfreund P. Heilemann (Herborn) demonstrierte einige seiner Partien aus dem Dr.-Dyckhoff-Gedenkturnier und der Deutschen Fernschachmeisterschaft. (Nebenbei sei bemerkt, daß weder Schwind noch Heilemann an dem nach Schweizer System durchgeführten Turnier teilnahmen.) Beim Skat erwies sich Fernschachfreund O. Rittershaus (Niederelfringhausen), mit 68 Jahren der Senior der Teilnehmer, am unverwüstlichsten, das charmanteste Rommé spielte die Braut des Fernschachfreundes W. Kühne (Schwäbisch-Gmünd). Im Tischtennis war Fernschachfreund von Massow trotz eines Gewichtes von mehr als zwei Zentnern und erheblicher Altersvorgabe an seine jungen Partner nicht zu schlagen und gab auch den routinierten Spielern des örtlichen Tischtennisvereins eine harte Nuß zu knacken. In einem Tischfußballturnier erwiesen sich manche Fernschachfreunde, wie konnte es auch anders sein, als Meister in Fern-Schüssen auf das Tor. Bei einer kleinen Sylvesterfeier kamen schließlich auch die Tanzlustigen zu ihrem Recht.

Anmerkung: In den historischen Dokumenten ist als Teilnehmer "K. Dietze" genannt. Hier liegt jedoch ein Fehler vor. Der Vorname lautet korrekt auf "Otto". Wir danken Frau Stephanie Strocka, Tochter von Fernschachfreund Otto Dietze, für den Korrekturhinweis. Der BdF freut sich, dass sich Otto Dietze noch heute im Jahre 2010 mit schachlichen Dingen befasst!