Viktor Moskalenko: "The Fully-Fledged French"

von Uwe Bekemann (Kommentare: 0)

Viktor Moskalenko
The Fully-Fledged French
368 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-939-9
29,95 Euro

The Fully-Fledged French“ von Viktor Moskalenko, 2021 erschienen bei New In Chess (NIC), ist kein Buch wie jedes andere. Es ist der oberste Spross einer beinahe evolutionären Entwicklung. In 2008 hatte Moskalenko mit „The Flexible French“ ein Repertoire für Schwarz auf der Basis der Französischen Verteidigung vorgestellt und dabei Wert darauf gelegt, den Leser die vorgestellten Systeme verstehen zu lassen, ihm dabei zu helfen, diese verinnerlichen zu können. 2015 erschien dann „The Even More Flexible French“, mit dem er seine ursprüngliche Arbeit ausbaute, aktualisierte und teilweise neuen Erkenntnissen entsprechend ersetzte. Beide Werke durfte ich rezensieren, beide konnte ich sehr empfehlen. „The Fully-Fledged French“ bleibt im bewährten Gerüst, ist aber in weiten Teilen inhaltlich neu. Viktor Moskalenko spricht sinnbildlich selbst von „neuem Wein in alten Schläuchen“.


Im Rahmen der Vorbereitung dieser Rezension habe ich Kontakt zu ihm aufgenommen und zu Fragen, die sich mir stellten, um Antwort gebeten. Viktor Moskalenko ist sofort und ausführlich darauf eingegangen. Seine Auskünfte habe ich in der Folge inhaltlich eingearbeitet.

The Fully-Fledged French“ ist in 5 Teile mit insgesamt 27 Kapiteln gegliedert. Die Systeme sind wie folgt eingeordnet:

  • Teil 1 (Titel: The origin): Vorstoß-Variante - 1.e4 e6 2.d4 d5 3.e5
  • Teil 2 (Titel: weapons and dogmas): Tarrasch-Variante - 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sd2
  • Teil 3 (Titel: French Magic): Klassisches System - 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6
  • Teil 4 (Titel: Behind the barricades): Winawer-Variante - 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4
  • Teil 5 - Überraschungswaffen für dynamisch orientierte Spieler (sinngemäß ins Deutsche übersetzt).

In der Konstruktion des Buches hat sich gegenüber dem Vorgängerwerk nicht viel geändert. Hierauf gehe ich an späterer Stelle ein.
Inhaltlich aber hat sich sehr viel getan. Eine kleine Zusammenfassung der Änderungen stellt Moskalenko seinem Vorwort voran. Er erwähnt 56 neue Partien, die er eingearbeitet hat, sowie Hunderte von Verstärkungen, neuen Möglichkeiten und Ideen. Er stellt heraus, dass es neben neuen Kapiteln Veränderungen in der Form von Erweiterungen und Aktualisierungen in jedem erhaltenen Kapitel gibt.
In seinen Antworten auf meine Fragen geht er am Rande auch auf die Neuerungen und die neuen Ideen ein. Er erwähnt seine eigenen Ergebnisse mit der Französischen Verteidigung nach der Veröffentlichung von „The Fully-Fledged French“; er hat er von 20 gewerteten Partien 15 gewonnen und in 5 Partien ein Remis erzielt. Verloren hat er keine. In den meisten Partien hat er neue Ideen aus dem Buch verwendet. Eine Neuerung schon im 8. Zug brachte ihm einen Sieg in 13 Zügen ein und wurde zum Anwärter für die beste Eröffnungsneuheit des Jahres 2021 (Partie Hernandez-Moskalenko, Barcelona 2021, Seite 255 als Empfehlung "8...Sf6!!N“ im Buch. NEW In Chess (NIC) schreibt dazu, sinngemäß übersetzt, auf seiner Website: „Moskalenko spielt natürlich was er predigt!“).

Ich kann selbst die wesentlichen Veränderungen und Neuerungen gegenüber dem damaligen Werk „The Even More Flexible French“ in dieser Rezension nicht zusammenstellen, ohne den Rahmen zu sprengen. Interessant wäre dieser Vergleich natürlich für denjenigen Schachfreund, der das damalige Werk besitzt und „das Upgrade“ zu „The Fully-Fledged French“ erwägt. Ihm sei die Bestätigung Moskalenkos in seiner Antwort auf meine Fragen mitgegeben, dass er im neuen Repertoire die Änderungen und Verbesserungen leicht auf jeder Seite und für jeden Geschmack finden wird.

Nun zu den bereits angekündigten Ausführungen zur organisatorischen Gestaltung des Werkes: Hier kann ich ohne große Anpassungen meine Beschreibung aus der damaligen Rezension übernehmen.
Die Kapitel folgen im Aufbau einem weitgehend einheitlichen Schema. Die besprochene Variante wird zunächst kurz eingeführt. Dabei geht Moskalenko neben deren Geschichte auch auf ihre „Geheimnisse“ ein, also auf wichtige grundlegende Aspekte, Ideen, taktische Möglichkeiten und mehr. Erkenntnisse zieht er auch aus der Statistik zum System, die er zusätzlich anführt. Die theoretische Erörterung erfolgt an Musterpartien aus der Praxis. In seiner Kommentierung interessiert sich Moskalenko natürlich fast ausschließlich auf die theoretische Bedeutung von Zügen und Varianten, ohne den Leser unterhalten zu wollen.
Er legt sehr viel Wert darauf, dass der Leser seine Gedanken und damit das jeweils besprochene System versteht. Anhand von 7 verschiedenen Symbolen stellt er Passagen heraus, die beispielsweise versteckte Tricks, starke Waffen zugunsten des Angriffs oder der Verteidigung bzw. Ideen für beide Seiten anzeigen, die der Leser sich einprägen sollte. Zu übersehen sind die mit Symbolen gekennzeichneten Passagen nicht. Zur Sicherheit hat der herausgebende Verlag New In Chess (NIC) sie auch noch in eine graue Textbox gefasst. Besonders gefällt mir die Hervorhebung der Hauptideen und Pläne eines Systems. Das dafür verwendete Symbol des Klemmbrettes macht den Leser deutlich darauf aufmerksam, dass er an diesen Stellen Masterpläne und mehr erfährt. Moskalenko macht ausgiebig Gebrauch von diesem Symbol, was eine besondere Stärke von „The Fully-Fledged French“ ausmacht.
Genau dies ist übrigens Moskalenkos Leitmotiv als Autor. Seine Bücher sollen das kreative Spiel des Lesers unterstützen und fördern. Sie sollen sich von anderen Werken abheben, die teilweise bereits mehrere Bände mit Tausenden von Seiten umfassen, dem kreativen Spiel aber nicht dienen. „The Fully-Fledged French“ enthält keine Ansammlung von Engine-Varianten mit einem Stellungssymbol zur errechneten Chancenverteilung. Engines als Hilfsmittel genutzt hat Moskalenko aber sehr wohl. Auf meine Frage, ob es nicht ein Widerspruch in sich ist, wenn er einerseits von Engine-Varianten geprägte Bücher kritisiert und er andererseits aber schon im Vorwort auf Neuerungen verweist, die von Alpha/Leela Chess Zero stammen, zeigt er auf, wie er den Wert des Engine-Einsatzes definiert. Der Hauptwiderspruch liegt für ihn nicht in der Verwendung der Engine, sondern in der Art und Weise ihrer Nutzung. Der Leser sollte angeleitet werden und das Buch studieren können, keine von Engines stammenden Varianten auswendig lernen.
Für seine Arbeit nutzt er auch Fernpartien, die heute regelmäßig unter Einsatz starker Engines gespielt werden. Deren Hauptwert liegt für ihn in den Ideen, die in den gespielten Zügen auf ihre Stärke am Computer getestet werden.

Welchen Adressaten ist „The Fully-Fledged French“ nun insbesondere zu empfehlen? Wer schon das Vorgängerbuch für sein Repertoire genutzt hat, kann dieses mit dem neuen Werk auf mögliche Verbesserungen und Erweiterungen überprüfen. In seiner Antwort an mich macht Moskalenko deutlich, dass er das Repertoire eigentlich für seinen eigenen Einsatz als Spieler geschaffen und weiterentwickelt hat. Dies kann ein Hinweis an jeden Leser sein, dass er von der großmeisterlichen Sichtung der Literatur und des Turnierspiels sowie der Analysearbeit unmittelbar profitieren kann.
In meinen Augen ist „The Fully-Fledged French“ für den Spieler ab einem einfachen Klubniveau geeignet. Nach oben hin möchte ich keine Grenze definieren, da die Analysen und konkreten Neuerungen auch für Spieler besonderer Stärke wertvoll sein dürften.

Die Buchsprache ist Englisch. Mit Fremdsprachenkenntnissen auf Schulniveau sollten die davon gesetzten Anforderungen ohne besondere Probleme gemeistert werden können.

Fazit: „The Fully-Fledged French“ bietet dem Leser ein vollständiges Repertoire auf der Basis der Französischen Verteidigung an. Der Leser soll deren Theorie verstehen, worauf der Autor mittels intensiver Erläuterungen hinarbeitet. Grafische Symbole strukturieren die Erläuterungen und Empfehlungen des Autors nach Plänen, taktischen Möglichkeiten etc.
Der Besitzer des Vorgängerwerkes „The Even More Flexible French“ verschafft sich mit einem Kauf inhaltlich ein in weiten Teilen neues Buch, an dessen Struktur er sich wegen der Ähnlichkeit zum damaligen Werk nicht erst gewöhnen muss. Der Vergleich zwischen früheren und aktuellen Passagen, Empfehlungen etc. wird ihm durch den gleichartigen Aufbau erleichtert.
Ab einem unteren Klubniveau und in der Spielstärke nach oben offen kann ich den Kauf von „The Fully-Fledged French“ klar empfehlen.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann zur Verfügung gestellt.

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