Karsten Müller: "Bobby Fischer – 60 beste Partien"

von Uwe Bekemann (Kommentare: 0)

Karsten Müller
Bobby Fischer – 60 beste Partien
229 Seiten, gebunden bzw. kartoniert
ISBN: 978-3-95920-167-4 bzw. 978-3-95920-997-7
38,00 Euro (gebundene Fassung) bzw. 29,80 Euro (kartonierte Fassung)

Bobby Fischer – 60 beste Partien“ ist ein Buchtitel, der den Blick sofort einfängt. Er erinnert an „My 60 Memorable Games“ aus eigener Feder des 11. Weltmeisters Robert James (Bobby) Fischer, ist aber ein ganz neues Werk. Geschrieben hat es GM Karsten Müller, erschienen ist es in 2022 im Joachim-Beyer-Verlag.


Es gibt zahlreiche Bücher und elektronische Medien, in denen von Bobby Fischer gespielte Partien oder Fragmente daraus analysiert werden. Einen Eindruck von dieser Vielfalt vermittelt auch das umfangreiche Quellenverzeichnis auf Seite 227. Manche davon haben es zu einer eigenen großen Berühmtheit geschafft, so etwa Fischers „My 60 Memorable Games“ oder die Werke aus Garri Kasparows Serie „My Great Predecessors“. Karsten Müller hat diese Reihe um eine Arbeit bereichert, die einer ganz eigenen Grundidee folgt. Er hat 60 Partien aus Fischers Lebenswerk ausgewählt, die er für die instruktivsten hält. Diese hat er unter Nutzung moderner Engines unter die Lupe genommen und neu kommentiert. Analysen, Einschätzungen etc. anderer Autoren hat er dabei nicht verworfen, sondern als Zitate eingearbeitet bzw. in die Diskussion über Stellungsverhältnisse und Zugalternativen einbezogen. Teilweise hat er eigene Analysen genutzt, die er in einem früheren Buch über Bobby Fischer verwendet hat, was sich aus seiner Danksagung ergibt.
16 der behandelten Partien hatte auch Fischer in sein Werk aufgenommen.

Der Leser erhält eine Sammlung aus sehr unterhaltsam kommentierten Partien. Diese sind so aufbereitet, dass sie zugleich ein gutes Trainingsmaterial sind. Dies gilt für alle Partiephasen. So geht Karsten Müller beispielsweise darauf ein, was in einer Eröffnung aktuell als Hauptvariante gilt, wie eine Stellungsstruktur strategisch gespielt werden kann, welche taktischen Motive zu beachten sind oder wie die Endspielführung angelegt werden kann. Das Highlight sind für mich Opferwendungen, die unterhaltsam und taktisch wertvoll zugleich sind.
In den meisten Partien ist die Anzahl der betrachteten Varianten auf ein übersichtliches Maß begrenzt, was auch Robert Hübner in seinem Geleitwort positiv anmerkt. So bleibt der rote Faden in der Partie für den Leser sichtbar, er wird nicht mit Varianten verwirrt. Mir persönlich gefällt es, dass es auch Ausnahmen von diesem Prinzip gibt, so etwa in Form der 51. Partie im Werk, gespielt von Fischer und Spasski im WM-Match 1972. Zu diesem Duell gab es einen Analysewettbewerb auf der Website von ChessBase. Karsten Müller hat in gekürzter Form Analysen von Fernschach-GM Wolfram Schön eingearbeitet. Diese Partie ist ein Beispiel für jene, in die der Leser tief eintauchen kann, um die Geheimnisse zu erfahren, die die tatsächlich gespielten Züge begleiten.

Karsten Müller hat insgesamt nur wenige Fehler oder Ungenauigkeiten in Fischers Zügen gefunden. Dies gilt nicht unbedingt auch für Analysen früherer Kommentatoren. Beeindruckt hat mich die manchmal skizzierte Diskussion verschiedener Analyseergebnisse, teilweise eben auch unter Einbeziehung von Engines. Die 47. Buchpartie beispielsweise wurde zwischen Fischer und Tigran Petrosjan im Kandidatenfinale 1971 gespielt. Zu Wort kommen neben dem Autor auch Garri Kasparow, Zoran Petronijevic (über einen gewonnenen Analysewettbewerb), Charles Sullivan, Arno Nickel, Jonas Lampert und nicht zuletzt auch Stockfish NNUE. Am Rande lässt ein Zitat im Rahmen der Kommentierung den Fernschachspieler beipflichten: „Wenn starke Engines genug Zeit haben, um in die Tiefe zu gehen, sind sie absolut tödlich.“ Es ist bemerkenswert, dass selbst aktuell stärkste Engines kaum Fehler in Fischers Entscheidungen finden und eben manchmal erst ihr Beitrag mehr Sicherheit in eine Einschätzung bringt.

In den Kommentierungen leben auch beispielsweise Hängepartien als solche wieder auf. Jüngere Leser sind im Turnierschach nicht mehr mit der Situation konfrontiert worden, dass eine Partie aus Zeitgründen unterbrochen werden musste, der am Zug befindliche Spieler vertraulich und verbindlich zugleich seinen Abgabezug abzugeben hatte und dann bis zur Wiederaufnahmen wie wild analysiert wurde. Hatte der abgebende Spieler einen guten Abgabezug gemacht, waren die Annahmen des Gegners zum Abgabezug richtig? Heute ist das Turnierschach um alles rund um Hängepartien ärmer, je nach Warte eine Verbesserung oder eine Verschlechterung. In der Kommentierung der Partien in „Bobby Fischer – 60 beste Partien“ sind sie auf jeden Fall eine Bereicherung.

Mit den Partien ist ein QR-Code abgedruckt, den der Leser mit Smartphone oder Tablet einscannen kann. Hierüber wird er auf die Seiten von ChessBase geleitet, wo er sie auch online nachspielen kann. Gelegentlich finden sich QR-Codes auch im Partieverlauf, so dass gezielt ausgewählte Brettsituationen aufgesucht werden können.

Zahlreiche Fotos von Bobby Fischer und Gegnern lockern das Buch auf und geben den Kontrahenten ein Gesicht.

Der Käufer hat bei „Bobby Fischer – 60 beste Partien“ die Wahl zwischen einer gebundenen Fassung mit Lesebändchen, also einem sehr anspruchsvollen Format, oder auch einer kartonierten und damit preisgünstigeren Fassung.

Fazit: „Bobby Fischer – 60 beste Partien“ ist ein rundum gelungenes Werk, das sehr viele neue Einblicke liefert. Es ist unterhaltsam und bietet erstklassiges Trainingsmaterial. So möchte ich eine ganz klare Kaufempfehlung geben.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schachversand Ullrich zur Verfügung gestellt.

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