Ioannis Simeonidis: "Carlsen’s Neo-Moeller"

von Uwe Bekemann (Kommentare: 0)

Ioannis Simeonidis
Carlsen’s Neo-Moeller
158 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-937-5
22,95 Euro

Mit „Carlsen’s Neo-Moeller“ stellt der griechische FM Ioannis Simeonidis ein Repertoire vor, mit dem Schwarz in der Spanischen Partie nach 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 seinen Läufer unter Verzicht auf b7-b5 nach c5 spielen will, möglichst im 5. Zug. Damit greift Simeonidis eine Idee auf, die kein geringerer als Weltmeister Magnus Carlsen, in seiner Partie gegen Sergey Karjakin, Stavanger 2018, neu vitalisiert hat. Die Hauptvariante läuft über 5.0-0 Lc5 und nach 6.c3 mit 6…0-0 7.d4 La7 weiter.
Herkömmlich spielt Schwarz die Möller-Variante mit 6…b5 als Antwort auf 6.c3. „Neo-Möller“ ist keine offizielle Namensgebung, sondern als Vorschlag des Autors zu verstehen.


In seiner Kommentierung der o.g. Partie, die selbstverständlich nicht im Werk fehlt und für den Aufbau des Repertoires genutzt wird, schreibt der Autor in sinngemäßer deutscher Übersetzung: „Dieses System (...) wurde bisher noch nie in der Form als Repertoire vorgeschlagen, wie es in diesem Buch vorgestellt wird. Es ist bisher nur in wenigen Partien von Spitzenspielern und in Fernpartien erschienen. Die Theorie enthält noch viele blinde Flecken.“

Simeonidis hat seine Arbeit in vier Teile mit 17 Kapiteln gegliedert. Diese widmen sich den folgenden Inhalten:

  • Teil 1: Hauptvariante mit 6.c3 0-0 7.d4 La7 (7 Kapitel)
  • Teil 2: Weiße Abweichungen im 6. und im 5. Zug (7 Kapitel)
  • Teil 3: Abtauschvariante (zur Komplettierung des Repertoires, 1 Kapitel)
  • Teil 4: Übungen mit Lösungen (2 Kapitel, je 1 für die Übungen und 1 für die Lösungen).

In jedem Kapitel der Teile 1 bis 3 bildet eine praktische Partie das Gerüst für die theoretische Erörterung. Dies ist im 1. Kapitel das schon angesprochene Duell zwischen Karjakin und Carlsen. Zumeist bietet Simeonidis dem Leser zunächst eine, zumindest kurze, Einleitung an, die auf die wesentlichen Aspekte der im Folgenden erörterten Spielweise hinweist. In mehreren Kapiteln, so etwa in den Nummern 1, 2 und 6, die man der Darstellung des Kernrepertoires zurechnen darf, findet der Leser in der Kommentierung am Anfang der Partie weitere generelle Informationen, die somit die Einleitung ergänzen und spezifizieren.

Insbesondere im Teil 1 bietet Simeonidis viel neues Material aus seiner Analyse-Werkstatt an. Damit reagiert er darauf, dass er mit seinem Repertoire viel Neuland betritt. Im Kapitel 6 beispielsweise macht er darauf aufmerksam, dass er nach 8.Lg5 eine gewisse Zeit nur 8…h6 betrachtet hat, weil er zu 8…exd4 in der Mega Database (Anmerkung: 2020) kein einziges Beispiel dazu gefunden hatte. Solche gab es aber im Fernschach, wie er gesehen hatte. In der weiteren Auseinandersetzung mit der Problematik stieß er auf 10.Te1 im Anschluss an 8…h6 9.Lh4 exd4, was zu einer für Schwarz sehr gefährlichen Situation führte. Im Ergebnis stellte er fest, dass die korrekte Zugfolge über 8…exd4 führt.

Die Praxis und die Überprüfung durch andere Autoren werden zeigen müssen, wie belastbar Simeonidis‘ Empfehlungen sind. Dies lässt sich im Zuge der Ausarbeitung einer Rezension zu einem Werk wie „Carlsen’s Neo-Moeller“ nicht leisten, schon gar nicht mit Blick auf die Fülle des neuen Materials.

In seiner Einführung richtet der Autor u.a. ein Wort an die Fernschachspieler. Er versichert ihnen, dass sie den Analysen vertrauen können, wobei er die Grenzen des Rechenhorizontes der Engines nicht aus den Augen verliert.

Ganz speziell spricht Simeonidis in der Einleitung auch den Klubspieler an, wobei auch der Turnierspieler gemeint sein dürfte. Neben Hinweisen auf Übergänge und eine Verwandtschaft zwischen seinem Repertoire und anderen Systemen stellt er für ihn die Momente heraus, in denen kritische Entscheidungen zu treffen sind. Zu diesen zählen u.a. jene, in denen b7-b5 oder h7-h6 gespielt werden sollten. Diese Zusammenstellung, deren Punkte sich im Rahmen der späteren Erörterung ergeben und dort dann detailliert behandelt werden, ist m.E. schon an dieser frühen Stelle hilfreich, weil sie diese schon früh der Aufmerksamkeit des Lesers empfehlen.

Am Ende der Kapitel fasst Simeonidis dessen wesentliche Aspekte zusammen.

Teil 4 bietet insgesamt 46 vom Leser zu bearbeitende Übungsaufgaben mit den Lösungen darauf an, mit denen der Leser sein Verständnis überprüfen und vertiefen kann.

Mir sind ein paar Besonderheiten des Werkes aufgefallen, die ich schlicht als Aufzählung ergänze:

  • Teilweise beschreibt Simeonidis den Entstehungsprozess seines Werkes. Ein Beispiel hierfür habe ich schon oben bezeichnet, als ich die Ergebnisse aus seiner Analyse-Werkstatt angesprochen habe. Dies macht das Werk unterhaltsamer und spannender; es unterstreicht und illustriert den Beitrag des Autors zur Schaffung von Theorie.
  • Soweit Partien von der herkömmlichen Turnierbühne fehlten, hat er zumindest auf Fernpartien zurückzugreifen versucht
  • In Teilen dominieren Variantenketten die Darstellung, mit wenig oder keiner Kommentierung in Textform. Der Leser sollte hinreichend spielstark sein, seine eigenen Schlüsse zu ziehen, insbesondere auch aus Symbolen zur Stellungseinschätzung.
  • Simeonidis hat zur Ausarbeitung der Varianten vermutlich mit Chessbase gearbeitet und seine Ergebnisse dann in eine Datei zur Textverarbeitung überführt. Dies ist ein probates Vorgehen, doch es empfiehlt sich ggf. eine manuelle Umstellung der Variantenreihenfolge. Wenn A eine empfohlene Variante und B bis D weitere Möglichkeiten sind, dann ordnet Chessbase die Varianten beim Überführungsprozess bisweilen in die Reihenfolge B, C, D, A ein.
    In „Carlsen’s Neo-Moeller“ ist mir mehrfach aufgefallen, dass die Empfehlung des Autors erst als letzte der möglichen Alternativen angegeben wird, so dass der Leser zunächst die weiteren und teilweise auch nicht korrekten Möglichkeiten präsentiert bekommt. Die Qualität der Arbeit beeinträchtigt dies nicht, doch die Logik und ein möglichst bequemer Umgang mit der Theorie sprechen für die beschriebene manuelle Korrektur.

Fazit: „Carlsen’s Neo-Moeller“ ist ein inspirierendes Repertoirebuch für den Spieler mit Schwarz, der in Carlsens Fußstapfen neue Wege in der Spanischen Partie beschreiten möchte.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann zur Verfügung gestellt.

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