Alexander Kalinin & Nikolai Kalinichenko: "The Modernized Italian Game for White"

von Uwe Bekemann (Kommentare: 0)

Alexander Kalinin & Nikolai Kalinichenko
The Modernized Italian Game for White
384 Seiten, kartoniert
ISBN: 9789464201079
26,95 Euro

Die Entwicklung Lf1-c4 im Anschluss an 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 galt über Jahrzehnte hinweg als recht bescheiden und stand in der Gunst der Spieler klar gegenüber dem die Spanische Partie einleitenden Zug 3.Lf1-b5 zurück. Erst in der jüngeren Zeit hat die Spielweise eine Renaissance erlebt. Mitverantwortlich hierfür sind die gesunden strategischen Ideen, die Weiß damit verfolgen kann, ohne eine frühere Konfrontation mit dem Gegner forcieren zu müssen und ohne sich gegen schwarze Optionen wie Berliner Mauer und Marshall-Angriff wappnen zu müssen. Mit 3.Lf1-c4 zeigt Weiß an, dass er einen ruhigeren Weg in die Partie bevorzugt.


Alexander Kalinin und Nikolai Kalinichenko, beide Großmeister, Kalinichenko im Fernschach, haben mit „The Modernized Italian Game for White“ ein Repertoirebuch geschrieben, das sich ganz besonders der Vermittlung der strategischen Ideen der Italienischen Partie widmet. Erschienen ist das Werk 2021 im belgischen Verlagshaus Thinkers Publishing.

In ihrem Vorwort zeigen die Autoren auf, was sie im Kern mit ihrer Arbeit erreichen möchten. Hierzu zählen:

  • Sie wollen dem Leser dabei helfen, für sich selbst ein effektives Eröffnungsrepertoire zu erstellen,
  • Sie wollen das Verständnis des Lesers zur Schachstrategie auch allgemein verbessern.

Diese Schwerpunktsetzungen charakterisieren das Werk. Der Leser erhält nicht ein womöglich viele Varianten umfassendes Repertoire, aus dem er sich „seine“ Linien einprägen kann, sondern quasi ein sinnvolles Gerüst hierfür, das er dann selbst weiter füllen kann. Nach welchen Ideen und übergeordneten strategischen Plänen die einzelnen Zweige sinnvoll zu spielen sind, geben sich die Autoren zu vermitteln größte Mühe. Natürlich enthält das Werk ein ordentliches Grundrepertoire.

Einen sehr guten Einstieg in die Strategien für die Italienische Partie haben die Autoren über das 1. Kapitel mit der sinngemäß ins Deutsche übersetzten Überschrift „Die Italienische Partie im Gewand der Spanischen“ gefunden. Mit dem Vergleich der Varianten 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 Sf6 4.d3 Lc5 5.c3 0-0 6.0-0 d6 aus der Spanischen Partie und 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.c3 Sf6 5.d3 0-0 6.0-0 d6 aus der Italienischen leiten sie ihre Betrachtungen ein. Die erreichten Stellungen unterscheiden sich nur in der Position des weißen Damenläufers. Mit 4.d3 kann Weiß im Spanier das Ziel verfolgen, dem Aufbau einer schwarzen Festung in der Berliner Verteidigung entgegenzuwirken. Und in der Spanischen Partie wird der Läufer oft auf die Diagonale a2-g8 geführt, auf der er in der Bucheröffnung von Beginn an zu stehen kommt.

In der Konstellation Lc4 und Bauern auf c3 und d3 sind die verschiedensten Spielweisen möglich, die Weiß anpeilen oder mit denen er auf gegnerische Weichenstellungen reagieren kann. Diese erörtern die Autoren in drei Folgekapiteln mit den – sinngemäß, aber teilweise recht frei – übersetzten Überschriften „Die sehr langsame Italienische Partie: Strategische Ideen und Motive“, „Ins Labyrinth der sehr langsamen Italienischen Partie“ und „Der Italienisch/Spanisch-Komplex“. Innerhalb der Kapitel 2 und 3 ordnen die Autoren den Stoff dann anhand der verschiedenen Möglichkeiten zum Aufbau und zur Entwicklung. Anhand des Beispiels der ersten 3 von 13 Abschnitten im Kapitel 2 lässt sich gut aufzeigen, wie sie ihre Ausführungen strukturiert und wie Sie diese Pläne entsprechend fokussiert haben. In diesen geht es um:

  • Weiß greift am Königsflügel an, während er auf den Damenflügel rochiert oder seinen König in der Mitte lässt.
  • Weiß greift bei gegenseitiger kurzer Rochade am Königsflügel an.
  • Weiß erobert Raum im Zentrum mittels d3-d4.

Die weiteren Lektionen dieses Kapitels sind in einer ähnlichen Weise betitelt.

Jedes einzelne Thema wird zunächst kurz erläutert und dann anhand von Partien aus der Meisterpraxis, die tendenziell aus jüngerer Zeit stammen, vertieft. Die Autoren erläutern intensiv, heben Schlüsselideen hervor und beteiligen den Leser gelegentlich an den Erwägungen, indem sie ihn fragen, was er in einer bestimmten Brettsituation machen würde, welchen Zug er ausführen würde.
Diese Form der Darstellung empfinde ich als sehr gelungen. Das, was der Leser zur Strategie in der Italienischen Partie erfährt, hat auch einen allgemeinen Wert. Die Autoren wollen, wie oben schon erwähnt, das Verständnis des Lesers zur Schachstrategie auch allgemein verbessern, und besonders in diesem Kapitel tun sie alles dafür, um dieses Ziel zu erreichen.

Das 3. Kapitel, das vorrangig der Darstellung eines konkreten Grundrepertoires dient, erinnert etwas mehr an Repertoirebücher, wie sie heute oft gestaltet sind. Die konkreten Linien werden anhand von kommentierten Partien vermittelt, die somit aus einem Mix aus Text und Varianten bestehen. Auch hier aber haben die Autoren den Schwerpunkt auf Erläuterungen gelegt und Varianten dosiert eingesetzt. Ihre Ausführungen orientieren die Autoren an bestimmten Grundstellungen (Tabijas). Auch in diesem Kapitel wird der Leser gelegentlich eingebunden und Schlüsselideen werden auch hier hervorgehoben.

Das 4. Kapitel dient dazu, den Leser für den Fall mit Anleitung und Stoff zu versorgen, dass Schwarz mittels des Zweispringerspiels im Nachzuge oder der Philidor-Verteidigung früh abweicht. Zugleich widmet es sich dem Läuferspiel, mit dem Weiß der Russischen Verteidigung aus dem Weg gehen und dann ggf. doch in die Bereiche der im Buch dargestellten Systeme überleiten kann.

Das Rückgrat aller Darstellungen bilden insgesamt 128 Partien. Diese sind nicht nur Träger der Theorie, sondern auch unterhaltsam. Dies ist sicherlich auch einen Hinweis wert, denn „The Modernized Italian Game for White“ ist ein Buch, das den Leser zeitlich bindet und Engagement sowie Durchhaltevermögen abverlangt, wenn er denn so von ihm profitieren möchte, wie es ihm die Chance bietet.
Insgesamt ist recht viel Text vom Leser zu verarbeiten, der aber hinsichtlich der Fremdsprachenkenntnisse keine besonderen Anforderungen stellt.

Fazit: „The Modernized Italian Game for White“ ist ein sehr gelungenes Repertoirebuch, das sich besonders auf sehr ruhig gespielte Spielweisen in der Italienischen Partie konzentriert. Es ist aus der Perspektive von Weiß geschrieben, aber auch für den Schwarzspieler von Wert.
Ich möchte das Werk bedenkenlos schon dem „einfachen“ Klubspieler bis hin zum erfahrenen Turnierspieler empfehlen. Die systematisch und tief dargestellten strategischen Aspekte sind fast ohne Abhängigkeit von der Spielstärke des Lesers wertvoll.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann zur Verfügung gestellt.

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