Karl Linnmann: Zur Psychologie des FSp (des Fernschachspielers) (Zeitschrift „Fernschach“, März 1968)

Auch die unscheinbare Fernschachkarte ist ein kleines Spiegelbild unserer charakterlichen und sonstigen Plus- und Minuspunkt. Und jeder FSp wird in dieser kleinen Glosse, die übrigens keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, liebe, alte und vertraute Fernschachgegner wiedererkennen:

Nennen wir zuerst den Schnellspieler. Er antwortet grundsätzlich postwendend und gibt serienweise Eventualzüge an. – Der Kavalier unter den FSp legt Wert darauf, sich auf seiner ersten Karte vorzustellen. („bin 34 Jahre alt, von Beruf Schriftsetzer wie Sämisch, und spiele seit 3, 5 Jahren Fernschach.“) – Erfreulicherweise selten ist der Typ des FSp, dem es scheinbar weniger auf die Antwortzüge seines Gegners ankommt als auf die präzise Zeitrechnung. Er vergleicht mit der Lupe den unleserlichen Poststempel mit dem angegebenen Datum. Wehe, wenn die Daten nicht übereinstimmen, wehe, wenn Sie Ihre Karte abends in einen Kasten geworfen haben, der erst am nächsten Morgen geleert wird!

Neben den guten Verlierern, die rechtzeitig aufgeben und ihrem Gegner gratulieren, gibt es leider auch den schlechten Verlierer, der sich nur schwer entschließen kann, eine verlorene Partie aufzugeben. Vorher nimmt er noch einmal Urlaub, und sein „ich gebe auf“ schickt er erst ab, wenn die neue Ausgabe FERNSCHACH gerade erschienen ist, so daß dann nochmals vier Wochen vergehen, bis seine Niederlage veröffentlicht wird. – Verwandt mit diesem Typ ist auch der „Mach-mal-Pause“-FSp. Er spielt zuerst schnell und sorglos. Wenn er aber dann gepatzt hat, verliert er zunächst das Interesse an der Partie. Er antwortet nicht mehr. Oder macht 14 Tage Urlaub, um sich von seinem Schreck zu erholen, kommt aber nicht auf die Idee, daß er die Eröffnung nicht sorgsam genug behandelt hat.

Salz in der Fernschach-Suppe sind die ausgesprochen mutigen, ja verwegenen FSp. Sie riskieren schon in der Eröffnung einiges. Sie opfern ohne weiteres einen Bauern, um ein lebhaftes Spiel zu erhalten oder eine Stellung, die so kompliziert ist, daß auch tagelanges Analysieren zwecklos ist. (Übrigens, oft bekommen sie den geopferten Bauern nach spätestens 15 Zügen zurück, oder sie erlangen eine klare Gewinnstellung.) – Genau gegensätzlich ist der System-Spieler, der über umfangreiche und mit viel Fleiß angelegte Eröffnungskarteien verfügt und es genießt, im Zeitlupentempo jede neue Variante oder Abweichung von einer bekannten Variante zu verfolgen.

Sicher haben Sie auch schon einmal den briefmarkensammelnden FSp erlebt, der glücklich ist, einen Gegner zu finden, der außer für Fernschach auch noch für Postwertzeichen etwas übrig hat. – Liebenswert ist auch der FSp, der regelmäßig auf seiner ersten Karte die Hoffnung ausdrückt, es möge eine interessante Partie zustande kommen, die aber doch nach dem 14. Zug ein Remis ansteuert, weil er alle Verwicklungen ängstlich meidet.

Sicher kennen Sie die unterhaltsame Sorte von FSp, die ihre Karten regelmäßig mit kleinen Bemerkungen versehen. (Wie stehen Sie eigentlich gegen Schmidt? Ich habe einen Bauern weniger. Was hätten Sie auf Da7 gezogen? usw.) – Immer wieder begegnen wir auch dem Neuling, der auf der ersten Karte mitteilt: „ Mein erstes Fernschach-Turnier“ und damit von vorneherein seine Erfolgschancen um 50% reduziert. Denn auch Fernschach verlangt einige Praxis. – Zum Schluß nennen wir noch den ausgesprochenen Fernschach-Routinier, der die Gabe hat, seine Partien zugleich die knisternde Spannung eines Kriminalromans und die Schönheit eines Kunstwerkes zu verleihen.

Von allen FSp wissen wir, daß sie das Fernschach lieben, weil es ein einzigartiges Mittel ist, um den Verstand zu schärfen und das graue Leben zu vergolden!

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